Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der Boden Mesopotamiens

Das Klima des Zweistromlands ist eines der heißesten der Erde. Im Sommer herrscht zwölf Stunden lang eine glühende Hitze von vierzig, fünfzig, ja sechzig Grad; dann ist, sagt der Geograph Banse, Mesopotamien eine Hölle: »gelbe Leichenfarbe lagert sich über Hügel und Ebene«. Daneben stehen aber sehr strenge Winter, wo der Schnee bisweilen fußhoch liegt, 271 und auch im Sommer auffallend kühle Nächte, die das wärmende Kohlenbecken erfordern: Der Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht kann dreißig und mehr Grad betragen. Dabei fällt vom Juni bis zum September kein Tropfen Regen. Kein Wunder, daß dieses Land immer den Nährboden für eine gewisse Verrücktheit gebildet hat, die die allgemein menschliche noch um ein Beträchtliches übersteigt. Was die Tierwelt anlangt, so war sie im Altertum um einige Arten reicher: Es gab nicht nur Stiere und Esel, Schafe und Ziegen im wilden Zustande, sondern auch Elefanten, Löwen und Strauße. Aber Wölfe und Wildkatzen, Füchse und Hyänen, Wildschweine und Stachelschweine, Hirsche und Hasen, Gazellen und Steinböcke, Reiher und Kraniche, Rebhühner und Trappen haben sich bis zum heutigen Tage erhalten. Mohnblumen, Lilien, wilde Rosen bildeten schon im Altertum über weite Strecken leuchtende Teppiche. An baumartigen Formen gab es dagegen nur die Euphratpappel, ein ziemlich ärmliches Gewächs, etwas Tamariskengebüsch und zwerghaft gebliebene Weiden. Einen gewissen Ersatz bot der »Rohrwald«: dichte Schilfmassen von oft anderthalbfacher Mannshöhe; aus ihnen wurden Schalen, Körbe und Schachteln, auch Matten und Nachen erzeugt. In den Gärten aber gedieh in reicher Menge die Dattelpalme, von deren Früchten Xenophon rühmt: »sie waren von wunderbarer Größe und Schönheit und glichen an Farbe dem Bernstein«. Sie wurden nicht bloß roh gegessen, sondern auch zu Honig, Likör und Essig verarbeitet, das Mark der Palme lieferte ein artischockenähnliches Gemüse, der Bast Seile, das Rippenwerk allerhand Haushaltungsgegenstände. Daneben wurde die Feige, die Maulbeere, der Weinstock, der Granatapfelbaum gepflanzt, dessen Blüte die Lieblingsblume des Babyloniers war, ja sogar schon die aus Indien importierte Baumwollstaude, die Herodot mit Staunen betrachtete. Das Getreide, von dem er spricht, war Gerste, Weizen und Emmer; 272 von der Sesampflanze berichtet er, daß sie in Babylonien den Ölbaum ersetze, was in der Tat für alle uns bekannten Zeiten zutrifft; die Angabe, daß sie sich dort zu unglaublicher Üppigkeit entfalte, war nicht übertrieben. Von allen diesen Gewächsen haben aber die Mesopotamier immer gewußt, daß man aus ihnen nicht bloß Nahrung gewinnen könne: schon in der grauesten Urzeit gab es Granatapfelwein, Gerstenschnaps, Hirseschnaps, Sesamtrank. Hingegen besaß Babylonien niemals eigenes Bauholz; aber auch keine Steinbrüche. Daher war es von jeher auf den Backstein angewiesen, an dessen prächtige Emaillierungen jedermann zuerst denkt, wenn von der mesopotamischen Kultur die Rede ist. Für Gebäude und Bildwerke, die sich aus gebranntem Lehm nicht herstellen ließen, bezog man die Gesteine oft aus weiter Ferne, zum Beispiel den Diorit aus Ostarabien. Die Haustür, für die ein anderes Material als Holz kaum in Betracht kam, galt dem Babylonier als kostbares Erbstück, und wenn er umzog, nahm er sie in die neue Wohnung mit. Hingegen fand er allenthalben ein vorzügliches Bindematerial im Asphalt, der den Mörtel mehr als ersetzte.


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