Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Rom

Ranke nennt die römische Tradition »eine Mischung alter Erinnerung und politischer Anschauung«. Die Römer, für Poesie zu nüchtern und in ihrem wissenschaftlichen Auffassungsvermögen noch auf der Stufe der Prähistorie, übten hier dieselbe Methode wie bei ihrer Götterbildung: Sie verdichteten politische Handlungen, Institutionen, Begriffe zu Personen. Ihre überlieferte Frühgeschichte ist in Figuren gepreßte Territorial-, Rechts- und Verfassungsentwicklung. Nach der bekannten Gründungslegende waren Romulus und Remus die Söhne des Mars und einer Königstochter aus Alba Longa, der mythischen Hauptstadt des latinischen Bundes. Danach könnte zunächst Rom ebensogut Rem heißen. Aber Remus tritt ganz in den Hintergrund und wird schließlich von Romulus erschlagen. Am Beginn der römischen Geschichte steht bedeutungsvoll ein Brudermord. Ferner gibt die Sage ziemlich unumwunden zu, daß Rom als eine Art Verbrecherkolonie begonnen 747 hat. Da es nun an Frauen fehlte und niemand aus der Nachbarschaft diesen Rowdies gutwillig welche geben wollte, kam es zum Raub der Sabinerinnen, der für die Sitten der Römer ebenso bezeichnend ist wie für das Renommee, das sie genossen. Als allgemeine Leistung der Königszeit gilt: die Gründung der Gemeinde und Gliederung der Bürgerschaft, die Ummauerung der Stadt und Errichtung der ersten öffentlichen Gebäude, die Unterwerfung der umliegenden Ortschaften und schließlich ganz Latiums. Das Königtum war nicht »legitim« nach modernen Begriffen. Es konnte von einem Geschlecht zum andern übergehen und im Prinzip überhaupt jedem Vollbürger übertragen werden; war aber einmal ein König gewählt, so herrschte er unumschränkt. Er war höchster Richter, Priester, Kriegsherr und besaß über den Staat eine ebenso absolute Gewalt wie der pater familias über sein Haus; der senatus, der »Rat der Älteren«, war neben ihm staatsrechtlich machtlos, doch galt seine Ignorierung in wichtigen Fragen als Mißbrauch. Die Patrizier (»Vaterskinder«, da nur sie von einem Vater abstammten, der Rechte zu vererben vermochte) hatten den alleinigen Zutritt zu sämtlichen Gemeindeämtern und Priesterwürden; ihnen gegenüber standen, durch Eheverbot geschieden, die rechtlosen, aber freien Plebejer, die Nachkommen der unterworfenen Bevölkerungen. Der staatsmännische, ja im Keime schon weltpolitische Geist der Römer zeigt sich darin, daß sie, anders als die Spartiaten, mit denen sie sonst eine gewisse Ähnlichkeit hatten, die Besiegten nicht zu Heloten machten, sondern in die Gemeinde aufnahmen. Doch hat sich hieraus die Plebejerfrage entwickelt, die sich bekanntlich durch die ganze römische Geschichte zieht. Dann gab es noch als dritten Stand die Klienten, den Anhang der großen Grundbesitzer, freie, meist zugewanderte Bauern, Pächter und Kleinhandwerker, die ihrem Patron dafür, daß er ihnen seinen Rechtsschutz lieh, politische Gefolgschaft leisteten und gegen eine 748 bestimmte Abgabe den Boden bebauten. Sie haben zur Zeit der römischen Großmacht im Straßenbild und im Gesellschaftsleben eine charakteristische Rolle gespielt, doch war da ihr Verhältnis zum Patron bereits ein ganz anderes. Man kann den späteren Klienten nicht anders als mit »Schnorrer« übersetzen. Sie hatten die Aufgabe, ihre Schutzherren als eine ständige Suite zu umgeben, um deren Reichtum und Ansehen zu unterstreichen oder aber auch eine Kreditfähigkeit vorzutäuschen, die diese nicht besaßen, so wie sich heutzutage einer aus ähnlichen Gründen einen Diener und Chauffeur hält, dem er dann das Gehalt schuldig bleibt. Sie erhielten als Entschädigung für ihren anstrengenden Dienst oft nicht mehr als einen schäbigen Taglohn, den man sonst einem Sklaven als Trinkgeld gab, ein paar abgelegte Kleider und zur Mahlzeit sauern Wein, altes Brot, wässerige Muscheln und Lampenöl. Andrerseits waren sie, ihren Brotgeber umschwärmend »wie die Fliegen den Koch«, zumeist sicherlich indiskret, gierig, unmanierlich und in ihrer Dienstbeflissenheit und Speichelleckerei taktlos.


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