Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die nomadische Gesinnung

Im Vordergrund des altarabischen Glaubens stehen die Dschinnen, Wüstendämonen, die teils gut, teils böse sind. Gegen sie schützt das Amulett, Wort und Gebärdenzauber, Deutung der Vorzeichen. Schon in grauer Vorzeit war die heilige und magische Zahl die Sieben. An der Spitze der Geisterschar stehen der ilu und die ilât, auch rabb und rabbât genannt, was beides »Herr« und »Herrin« bedeutet, angebetet im Steinkegel, der mascheba, und im Holzpfahl, der aschera. Überall, wo Leben aus der toten Einöde sprießt: im sprudelnden Quell, im grünenden Baum, im blühenden Strauch wohnt ebenfalls eine Gottheit.

Man darf sich nicht die gesamte Urbevölkerung der Halbinsel als ein Heer von ewigen Wanderern vorstellen: es gab zu allen Zeiten seßhafte Stämme, die in Oasen lebten, und Halbnomaden, die an Wasserplätzen in Zeltdörfern kampierten. Der große Gegensatz zum Bauern und zum Städter liegt in der Gesinnung. Die sitzen in gedeckten Hütten, festen Häusern, ummauerten Burgen, Waren tauschend, Mühlen treibend, Gärten hegend, Tiere züchtend, und der Sinn ihres Daseins vollendet sich in Handel und Frieden, Kenntnissen und Künsten. Der Nomade, nichts über sich als die Sterne des Himmels, nichts unter sich als den Rücken seines Pferdes, blickt mit einem Gemisch aus Gier, Scheu und Verachtung auf diese seltsam geduldigen und anspruchsvollen, zahmen und gefährlichen Lebewesen. Für ihn ist das Leben ein stets erneutes waffenklirrendes Glücksspiel, dort ist alles gliedernde und wägende 414 Organisation. Es ist der große Antagonismus zwischen Weltzügigkeit und Erdverbundenheit, Einzelgänger und Kulturträger, Blut und Geist, Freiheit und Herrschaft.

Mit Ismael, dem unehelichen Sohn Abrahams von der Hagar, von dem im ersten Buch Mose erzählt wird, ist der Nomade gemeint: Der Engel des Herrn prophezeit von ihm: »Er wird ein wilder Mensch sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn; und wird gegen alle seine Brüder wohnen.« Er wird dem Wildesel verglichen, von dem es im Buch Hiob heißt: »Die Wüste ist ihm zur Behausung gesetzt und die Salzsteppe zur Wohnstätte. Er lacht des Getümmels der Stadt, das Geschrei des Treibers hört er nicht.« Dabei darf man wiederum nicht immer an Dürftigkeit denken: Es hat sehr reiche Beduinen gegeben. Aber niemals hing das Herz des Nomaden an unbeweglichem Besitz; sein ganzer Bedarf ist fahrbar: nicht bloß die rohe oder versponnene Wolle für seine Kleidung und die gefüllten Kisten, Kasten und Schläuche für seine Nahrung, sondern auch sein Haus, das aus Ziegen- oder Kamelgarn gewebt ist, sein Bett, das in einem Fell, sein Tisch, der in einem Stück Leder, sein Empfangssalon, der aus ein paar Truhen, Matten und Teppichen besteht; dazu kommt noch getrockneter Mist zur Beheizung, die Bratpfanne, die Handmühle, das Sattelzeug und, als vielleicht wichtigstes Einrichtungsstück, die »ewig brennende« Lampe, eine flache offene Tonschale mit Schnauze für den ölgetränkten Docht, und er hat alles beisammen, was er braucht und wünscht. Diese Bedürfnisse können verfeinert werden: Er kann edle Pferde, kostbare Gewebe, erlesene Weine, ja sogar als höchsten Luxus ein Kohlenbecken mit sich führen, aber sie können nicht vermehrt werden; und sie machen den Boden zu einem gleichgültigen Ding.

Seine Freizügigkeit und Frugalität läßt aber den Nomaden überhaupt nicht allzusehr an Gütern hängen, um so mehr, als es gesicherten Besitz unter diesen Lebensbedingungen gar nicht 415 gibt. Denn es ist, im großen genommen, ein Räuberdasein, und der Räuber kann jederzeit von einem stärkeren, gewandteren oder kühneren selber beraubt werden. Die ganze Existenz ist ein Abenteuer, geschaukelt zwischen Überfluß und Elend, die Mitte ist die Ausnahme. Der letzte Nachfahr des Beduinen ist der Börsenspekulant. Erwerb durch regelrechte Arbeit und technische Geschicklichkeit, »bürgerlichen« Gewinn kennt der Nomade nicht: die einzige zivile Tätigkeit, die er ausübt, ist die Besorgung eines Schutzgeleits für reisende Karawanen, das er dann allerdings meist sehr gewissenhaft einhält. Betreibt er einmal Zwischenhandel, so will er daran mit einem Schlage reich werden. Auch die Brunnen und Weideplätze gehören ihm nicht, er muß sie stets erneut erkämpfen. Als Staatsform kennt er nur die Familie, die, zur Sippe erweitert, nicht notwendig lauter Verwandte umfassen muß: auch Fremde können durch den Bluteid in die Brüderschaft Zutritt erlangen. An der Spitze steht der Scheich. Er verdankt seine Stellung weder seinem Vermögen noch seiner Geburt, sondern seinem persönlichen Ansehen. Gerät dieses ins Wanken, so erlischt auch seine Befehlsgewalt. Er ist also im wesentlichen eine moralische Autorität. Er ist auch oberster Richter, aber seine Schiedssprüche sind wiederum nur moralisch bindend. Irgendwelche Standesunterschiede gibt es nicht; es herrscht die vollkommenste Demokratie, oder vielmehr: Jedes Stammesglied fühlt sich als eigenherrlicher Aristokrat.


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