Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Das Namensbabel

Man versucht den Vokalismus des Ägyptischen mit Hilfe des Koptischen zu erschließen: dies ist das mit griechischer Schrift, also mit Vokalen geschriebene Ägyptisch des dritten nachchristlichen Jahrhunderts, das sich bis heute als Kirchensprache in der Liturgie der Kopten erhalten hat, ähnlich wie das Lateinische im katholischen, das Hebräische im mosaischen, das Sumerische im babylonischen Ritus. Aber mit diesem Verfahren verhält es sich etwa so, wie wenn man die italienische Aussprache zur Erkundung der altrömischen heranziehen wollte oder das heutige Sächsisch für die Diktion der alten Sachsen. Eine zweite Handhabe bietet die altgriechische Umschreibung der ägyptischen Eigennamen; sie ist aber ebenfalls recht wackelig, denn auch die Griechen haben ganz unbekümmert fremde Namen verunstaltet, man kann auch sagen verschönert: aus Menkere zum Beispiel machten sie Mykerinos, aus Wehebre Apries, der in der Bibel Hophra heißt. Wir haben uns angesichts dieser Schwierigkeiten daran gewöhnt, in der ägyptischen Benennung die verschiedenartigsten Formen nebeneinander zu gebrauchen, nämlich erstens rein ägyptische, mehr oder minder willkürlich vokalisierte wie Nofretete (von den englischen Ägyptologen Nefertiti geschrieben), zweitens gräzisierte wie Sesostris (aus Senwosret gebildet), drittens rein griechische wie Herakleopolis, viertens arabische wie Tell el Amarna und fünftens verdeutschte wie Theben (nach dem griechischen Thebai), das die Ägypter Weset und später, als es im Neuen Reich das Glanzzentrum des Landes geworden war, 117 einfach nut, »die Stadt« nannten, wie der Franzose von Paris als la ville spricht. Dieses fünffache Verfahren ist nicht sehr konsequent, aber auch kein Unglück, denn alle Namen sind gut, wenn man weiß, was mit ihnen gemeint ist.

Es muß überhaupt die paradoxe Tatsache festgestellt werden, daß unsere Kenntnis der ägyptischen und frühen vorderasiatischen Geschichte weit mehr dem Druck und Wandel der »letzten Nachrichten« unterworfen ist als die Kunde von der Gegenwart. Umstürzende Enthüllungen sind bei der neuesten Geschichte, die doch noch gar nicht richtige Geschichte geworden ist, viel weniger zu gewärtigen als bei der ältesten, die es doch schon so lange ist. Die alte Historie veraltet viel leichter als die junge. Es hat daher ein Bericht über graues Altertum fast mit Sicherheit das Schicksal zu erwarten, daß er über kurz oder lang zur Fabel wird, welche Gefahr bei späteren Ereignissen fast gar nicht besteht: die verdunkelnde Legende pflegt sie nur so lange zu umnebeln, als sie »aktuell«, das heißt: den Lügen oder Wahnideen der unmittelbar Mitlebenden ausgeliefert sind. Es gibt, mit einem Wort, über das Altertum viel mehr Neuigkeiten, und dies sollte uns vorsichtig und nachdenklich stimmen. Man kann den Fall aber auch optimistisch ansehen und in dem Umstand, daß alle Altertumsforschung nur eine Art höherer Klatsch ist, einen besonderen Reiz erblicken.


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