Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der Amarnafund

Auf Thutmosis den Dritten folgten sein Sohn und sein Enkel: Amenophis der Zweite (1448 bis 1420) und Thutmosis der Vierte (1420 bis 1411). Beide hatten gegen immer wieder erneute Konspirationen in Syrien zu kämpfen; deshalb schloß der letztere mit dem König von Mitani eine Art Nichtangriffspakt, den er durch ein Ehebündnis mit dessen Tochter besiegelte. Hierdurch war eine gewisse Rückendeckung geschaffen, aber auch der ägyptischen Expansion im Osten eine Schranke gesetzt. Thutmosis der Vierte starb in jungen Jahren; sein Sohn Amenophis der Dritte (1411 bis 1375) kam schon als zwölfjähriger Knabe zur Regierung und heiratete bald darauf die zehnjährige Teje, die keine Prinzessin, sondern die Tochter eines einfachen Priesters war. Dieses Alter ist nach unseren Begriffen für einen König und eine Königin noch nicht 350 angemessen; aber vielleicht machte es, abgesehen von der orientalischen Frühreife, bei diesem Volke keinen großen Unterschied, ob jemand zehn oder dreißig Jahre alt war. Mit Amenophis dem Dritten begann schon eine gewisse Dekadenz. Nach allem, was wir von ihm wissen, besaß er weder den kriegerischen Ehrgeiz noch die rüstige Organisationskraft seiner Vorfahren, sondern mehr die Passionen eines weichlichen, prachtliebenden Sultans, dem Wasserspiele und Wildstierjagden, Jubiläumsempfänge und Haremsfeste wichtiger waren als das Prestige am Euphrat; auch stand er zeitlebens unter dem Einfluß seiner Gattin, deren geistreiche und pikante Züge uns ein reizendes Eibenholzköpfchen aufbewahrt hat. Die Kunst aber erreichte unter ihm einen Gipfelpunkt: gegen den Löwen aus rotem Granit zum Beispiel, der im Britischen Museum steht, sind sämtliche griechischen und Renaissancelöwen bürgerliche Nippfiguren.

Aus dem Zeitraum von Amenophis dem Dritten bis zum Ende der achtzehnten Dynastie stammt der berühmte Amarnafund. In El Amarna, der Residenz Amenophis' des Vierten, entdeckte man im Jahre 1887 einige hundert Tontafeln, Teile des königlichen Archivs, die mit den hethitischen, die zwanzig Jahre später in Boghasköi ausgegraben wurden, aufs vortrefflichste übereinstimmen. Daß auch sie in Keilschrift abgefaßt sind, ist ein Beweis dafür, daß das Babylonische damals als allgemeine Diplomatensprache dieselbe Rolle spielte wie in der Neuzeit das Französische. Den Inhalt bildet die Korrespondenz des Pharao mit den benachbarten Potentaten und den Vasallenfürsten in Syrien. Diese schrieben ein phoinikisch gefärbtes Babylonisch, während die Antworten, die ebenfalls in Kopien aufbewahrt wurden, zahlreiche Ägyptizismen enthielten. Aus dem Briefwechsel geht hervor, daß es damals ein wohlausgebildetes vorderasiatisches Staatensystem gab. Die syrischen Stadtkönige scheinen sich fortwährend untereinander befehdet und dabei gegenseitig beim Pharao angeschwärzt zu 351 haben. Man ließ sie aber gewähren, solange sie Tribut zahlten und sich nicht an eine der anderen Großmächte anlehnten. Diese waren zu jener Zeit Hatti, Mitani, Assur und Babel; dazu kam noch das offenbar wieder völlig souveräne Königreich Zypern, das damals Alasia hieß. Die Briefe sind oft von köstlicher Naivität. Zu Mitani bestanden besonders freundliche Beziehungen. Amenophis der Dritte war nicht nur der Sohn einer mitanischen Prinzessin, sondern nahm auch selber die Schwester Duschrattas, des damaligen Königs von Mitani, zur Frau; infolgedessen schreibt Duschratta an ihn: »An den großen König, den König von Ägypten, meinen Bruder, der mich liebt und den ich liebe. Mir geht es wohl. Möge es auch Dir wohlergehen! Deinem Hause, meiner Schwester und Deinen übrigen Frauen, Deinen Kindern, Deinen Wagen, Deinen Pferden, Deinem Heere, Deinem Lande und allem, was Dir gehört, möge es sehr, sehr wohlergehen! Du hast mit meinem Vater sehr, sehr innige Freundschaft unterhalten. Jetzt, da wir miteinander Freundschaft halten, ist sie zehnmal größer als mit meinem Vater. Und nun sage ich weiter zu meinem Bruder: Möge mein Bruder mir zehnmal soviel zuteil werden lassen wie meinem Vater! So möge mein Bruder mir sehr viel Gold senden, unzählbar viel Gold möge mein Bruder mir senden; mein Bruder möge mir mehr Gold senden als meinem Vater. Denn in dem Lande meines Bruders ist ja das Gold wie Staub.« Der Brief ist natürlich viel länger, denn so knapp pflegte ein orientalischer Herrscher sich nicht auszudrücken.

Der König der Kossäer, die damals Babylonien beherrschten, begehrte eine Tochter des Pharao zur Frau. Dies verstieß aber gegen die thebanische Hofetikette, und er erhielt die kühle Antwort: Wir heiraten wohl fremde Prinzessinnen, aber eine ägyptische Prinzessin geben wir niemals ins Ausland. Darauf erwidert der Kossäer: »Warum sprichst Du so? Du bist doch König und kannst machen, was Du willst. Wenn Du sie gibst, 352 wer kann etwas dagegen sagen? Aber ich schreibe meinem Bruder also: Es gibt ja genug heiratsfähige Töchter in Ägypten. Sende mir irgendein schönes Weib nach Deinem Gutdünken; wer wird dann zu sagen wagen: sie ist keine Prinzessin? . . . Was das Gold anlangt, dessentwegen ich Dir geschrieben habe, so sende viel Gold, soviel als da ist, und so schnell wie möglich, noch in diesem Sommer.« Die meisten königlichen Handschreiben sind solche offenen oder versteckten Bettelbriefe, und immer ist es zuwenig. Der Sohn des soeben erwähnten Königs, Burnaburiasch, hat aber einen anderen Kummer. Er befand sich nicht wohl, und der Pharao (es ist Amenophis der Vierte) hatte sich nicht erkundigt: »Daß ich krank bin, sollte mein Bruder nicht gehört haben? Warum hat er niemanden geschickt, um nach mir zu sehen? Der Bote meines Bruders hat nun gesagt: der Weg ist nicht so kurz, daß Dein Bruder es vernehmen und Dir einen Gruß senden könnte; daß Du krank bist, sollte Dein Bruder hören und Dir keinen Boten schicken? Ich sprach darauf: ist es zu meinem Bruder, dem Großkönig, eine große oder eine kleine Strecke? Er sagte: frag doch Deinen Boten! Wie ich nun meinen Boten fragte und er sagte, daß der Weg lang sei, ließ ich von meinem Zorn gegen meinen Bruder ab.« Das ist der Brief eines Schulknaben, nicht bloß wegen der kindischen Empfindlichkeit, sondern auch wegen des völligen Mangels an geographischen Vorstellungen: Burnaburiasch fragt allen Ernstes, ob es von Babel nach Theben weit oder nah sei.

Auch Amenophis der Dritte erkrankte eines Tages, und so bedenklich, daß seine nahen und fernen Freunde in größter Sorge waren. Duschratta sandte ihm zweimal das wundertätige Bild der »Ischtar von Ninive«, das, so hieß es wenigstens allgemein, schon viele Heilkuren vollbracht hatte. Aber am Pharao versagte es: Er starb, noch nicht fünfzig Jahre alt, und ihm folgte, fünfundzwanzigjährig, sein Sohn Amenophis der Vierte, der Ketzerkönig Echnaton. 353


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