Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die Religion

Der Absolutismus der vorderasiatischen Reiche war vielleicht in der Praxis brutaler und willkürlicher, aber in der Theorie weniger extrem formuliert als der ägyptische. Eigentlicher Beherrscher des Landes war nämlich der Gott der Hauptstadt, der König nur dessen Statthalter oder »Pächter«. Immer ist es die Gottheit, die die Gesetze gibt, Krieg befiehlt und mit 307 dem feindlichen Stadtgotte Frieden schließt. Die Bezeichnung für sie war bei den Semiten el, was ungefähr soviel bedeutete wie »höchste Macht«, adon (Herr), melkart (König) und ba'al (Besitzer). Ein Ba'al kann nicht bloß Eigentümer einer Stadt sein, sondern auch eines Berges, eines heiligen Baumes, einer Quelle; auch als Gestirngott ist er nicht einfach mit Himmel, Sonne, Mond oder Abendstern identisch, sondern deren »Inhaber«. Ferner ist er Besitzer der Menschen, die seine Sklaven sind, und der ihm häufig beigegebenen ba'alat, die aber seinem Regiment bedeutend mehr Schwierigkeiten bereitet als die Sterblichen. In älterer Zeit nennen sich die Fürsten patesi, »Diener«, nämlich der Gottheit. Was vorhin von Marduk erwähnt wurde, gilt von dem Bel jedes Gebietes: der König, ob legitim oder Usurpator, einheimisch oder fremder Eroberer, muß »seine Hand berühren«, das heißt: in seinen Dienst treten; nur dann ist er der Herr des Landes. Seit der Akkaderzeit pflegen jedoch viele Herrscher ihrem Namen das Wort »Gott« vorzusetzen, was aber vermutlich nicht viel mehr bedeutete als »in Stellvertretung«, und wenn es gelegentlich heißt: »Sargon ist mein Gott« oder Naramsin sagt: »Ich bin der mächtige Gott von Akkad«, so ist das bestimmt nicht wörtlich zu nehmen. Aber schon als Beauftragter der Gottheit konnte der Landesfürst übermenschliche Autorität und bedingungslose Unterwerfung in Anspruch nehmen: »Der König ist wie Gott« lautet ein assyrischer Eigenname. Wenn ein Rebell sich gegen ihn erhob oder ein Nachbar ihn angriff, so beging er nicht Hochverrat oder einen Bruch des Völkerrechts, sondern Sünde.

Im Mittelpunkt des alten, vielleicht noch sumerischen Glaubens steht die Götterdreiheit: Anu, Herr des Himmels, Enlil, Herr der Erde, Ea, Herr des Wassers, und die weibliche Hauptgöttin Ischtar, deren Bereich der Krieg und die Geschlechtsliebe sind. Marduk, der später alle anderen in den Hintergrund drängt, ist der Gott der Sonne und zugleich des Frühlings und 308 der Fruchtbarkeit, der Wasser fließen läßt, grünes Kraut hervorlockt und dem Korn gebietet. Gleich Helios und Apoll ist er der allwissende Herzenskünder, reinigende Heilsmittler, Patron der Kranken, Vertreiber der Dämonen. In Sumer war ursprünglich die höchste Gottheit Sin, der Herr des Mondes, der Schöpfer der Monate, der auf silberner Sichelbarke durch den Himmel steuert; sein Sohn ist Schamasch, der Herr der Sonne, der an jedem Tage aus der Nacht hervorfährt, gleich Marduk der Hort der Wahrheit und Gerechtigkeit. Bemerkenswert ist es, daß die altbabylonischen Gottheiten zwar, wie die griechischen, Tiere, die ihnen heilig sind, zu ihren Füßen sitzen haben oder abgebildet sind, wie sie auf Fabeltieren stehen, auch gern mit gewissen Tieren, dem Löwen, dem Wildstier, der Schlange, verglichen werden, selber aber niemals Tiergestalt tragen. Ein Gott, der damals noch nicht hervortrat, aber später für die kleinasiatischen Religionen große Bedeutung erlangte, war Tammuz, der das Leben und Sterben der babylonischen Natur versinnbildlichte: im Frühling von blühender Jugendfrische, wird er durch die dörrende mörderische Hitze des Sommers, die in der verzehrenden Liebesglut seiner Braut Ischtar verkörpert ist, dahingerafft und verfällt als König der Toten der Unterwelt (deshalb heißt auch das Grab »das Haus des Tammuz«); aber in jedem Frühling kehrt er wieder siegreich auf die Erde zurück. Alle diese Götter sinken jedoch im Verlauf der Zeit zum Rang von Dämonen oder Schutzheiligen herab; und da sowohl Marduk von Babel als auch Assur von Assur das Pantheon vollkommen monarchisch regieren, auch als universell und ewig gedacht sind, unendlich in Raum und Zeit waltend wie der Himmel, in dem sie thronen, kann man von Monotheismus sprechen oder zumindest von Monolatrie, denn die Existenz der Fremdgötter wird nicht geleugnet. Aber dann war auch die Verehrung Jahwes bloß Monolatrie, denn dieser siegt über die anderen Götter, also müssen sie doch da sein; in beiden Fällen 309 wird ihnen jedoch eine so geringe Achtung entgegengebracht, daß man dann jeden Glauben an feindliche Geister, auch den frühchristlichen an heidnische Dämonen, Polytheismus nennen müßte.


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