Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der »Knecht Jahwes«

Eine Frage von höchstem Schwergewicht müssen wir noch kurz erörtern: die Bedeutung der geheimnisvollen Stellen im dreiundfünfzigsten Kapitel des Jesajabuches über den »Knecht Jahwes«. Von diesem heißt es: er wird erhöhet werden und sehr erhaben sein, obgleich viele an ihm Ärgernis nehmen werden, weil seine Gestalt häßlicher ist als die anderer Leute; er hatte keine Gestalt noch Schöne, er war der Allerverachtetste und Unwertste, voller Schmerzen und Krankheit; er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen, denn um unserer Missetat willen ist er verwundet und um unserer Sünden willen zerschlagen: Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt; durch seine Erkenntnis wird er, der Gerechte, viele gerecht machen, denn er trägt ihre Sünden; darum, daß er sein Leben in den Tod gegeben hat, soll er große Menge zur Beute und die Starken zum Raube haben. Diese Worte sind viele Jahrhunderte lang auf den Heiland bezogen worden und noch heute die heißest 516 umstrittenen des Alten Testaments. Einige Züge sind aber mit dieser Auslegung unvereinbar: daß der Knecht Jahwes häßlich, daß er krank ist und vor allem, daß er die Starken zum Raube nimmt. Einige Exegeten haben die Prophezeiung durch die Annahme zu retten versucht, daß Christus auch in seiner körperlichen Erscheinung ein Symbol der Niedrigkeit gewesen sei. Unchristlich ist der Gedanke, daß der Heiland auch das Stigma der Mißgestalt und die Leiden der Krankheit auf sich nahm, durchaus nicht, und doch vermögen wir ihn nicht nachzudenken. Denn Gott kann sich der Menschheit nur in Reinheit und Schönheit offenbaren. Andere erblicken im Knecht Jahwes den dichterisch in eine einzige Person zusammengeschauten Prophetenstand, gleichsam dessen platonische Idee, die aber dem orientalischen Denken, da es reine Abstrakta nicht zu fassen vermag, doch wiederum zur konkreten Gestalt geronnen sei. Hiergegen spricht aber, daß gerade der Hauptzug, das stellvertretende Leiden, keineswegs für die Prophetie typisch ist. Renan vermutet, es sei die personifizierte Gesamtheit der ebionim gemeint, der Armen und Frommen, die er in seiner modernisierenden Art »Pietisten« nennt, oder auch Jeremia. Auf diesen paßt wirklich fast alles, und jedenfalls ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß es sich um eine große Märtyrergestalt handelt, die freilich ebenso im Dunkel bleibt wie Deuterojesaja selber. Nach Wellhausen ist der Knecht Jahwes das Volk Israel, als Träger der Wahrheit und ihr Vermittler an die Heiden: Knecht bedeutet hier soviel wie Prophet. »Wie Jesus«, sagt er in seinen Prolegomena zur Geschichte Israels, »die Mensch gewordene, so ist der Knecht Jahwes die Volk gewordene Offenbarung Gottes. Die Ähnlichkeit ihres Wesens und ihrer Bedeutung bringt Ähnlichkeit ihres Wirkens und Leidens mit sich, so daß in der Tat die messianische Deutung nahe genug liegt.« Was die Propheten in Israel taten, soll Israel unter den Völkern tun.

Indes einerlei, wer gemeint ist: welch großer Gedanke, daß 517 ein Einzelner, eine Gruppe oder ein ganzes Volk durch Leiden und Erkenntnis alle anderen erlöst! Aber Israel hat diese hohe Aufgabe nicht ergriffen: es ist nicht der Messias der Menschheit geworden, denn es wollte sein eigener Messias sein.


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