Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der Traditionalismus

Der französische Nationalökonom Chevalier sagt: »Eine Nation, deren Individuen sich alle auf einen einzigen Typus beziehen lassen, ist unter den Völkern, was der Hagestolz unter den Menschen: Das alte Ägypten war von dieser Art. Ein zweitypisches Volk dagegen erfreut sich, wenn keiner dieser Typen eine vernichtende Überlegenheit über den andern gewinnt, eines beständigen Austausches von Gedanken und Empfindungen wie ein Ehepaar; es hat die Gabe der Fruchtbarkeit, es erneut und verjüngt sich von selbst.« In der Tat waren die Ägypter, zumal für ein Volk der Subtropen, merkwürdig unerotisch. Vielleicht hängt auch dies mit ihrem Infantilismus 260 zusammen. Alle ihre großen Schöpfungen: der Kalender, die Schrift, die bildende Kunst erinnern ein wenig an die Ideenwelt sehr kluger und begabter Kinder. Dabei hatten sie auch immer etwas vom Greis. Vielleicht beruht ihre Größe zum Teil darauf, daß sie so alt geworden sind. Wer weiß, wie alt sie schon waren, als sie in das Licht der Geschichte traten! Oder vielleicht erreichten sie nur darum ein so ungeheuer hohes Alter, weil sie von vornherein mit einem senilen Stoffwechsel begabt waren, dessen träge Selbstverbrennung sie ihren heiligen Krokodilen ähnlich machte. Das Krokodil ist gewiß ein sehr imposantes Geschöpf, und doch müssen wir bei seiner bloßen Nennung lächeln. Und ebenso liegt um Ägypten eine leise, rührende Komik wie von Kindern und alten Leuten.

Wie ein Greis lebte der Ägypter dauernd in der Vergangenheit, immer steht er unter der Hypnose eines grauen Altertums, seine ganze Geschichte besteht aus Restaurationen. Der einzige Reformator, der jemals auf dem Throne der Pharaonen gesessen hat, der Ketzerkönig Echnaton, scheiterte vollkommen. Abgeschafft hat der Ägypter überhaupt nie etwas; war etwas noch so überholt, so tat er doch immer noch so, als ob es noch da wäre. Am liebsten arbeitete er nach einem festen Schema des »Richtigen«: So gab es Musterzeichnungen für bildliche, Mustertexte für schriftliche Darstellung, aus denen man abnehmen konnte, wie eine menschliche Figur, ein Palast, eine Geburtstagsgratulation ein für allemal auszusehen haben. Daher kommt es, daß es in der ägyptischen Malerei miserable Leistungen überhaupt nicht gibt: Der Künstler brauchte ja nur die obligaten Formen auswendig zu lernen, um sich vor groben Patzereien zu bewahren. Ja, es gibt sogar für die Schilderung der einmaligen geschichtlichen Ereignisse eine fixe Schablone, die immer wiederkehrt: Eine ägyptische Schlacht oder Belagerung gleicht der andern. Die Könige des Neuen Reichs haben oft in historische Berichte aus der Zeit des Alten Reichs einfach 261 ihren Namen einsetzen lassen und sogar die Porträtstatuen längst verstorbener Könige für sich usurpiert: Die Hauptsache war schließlich ja doch, daß das Bildnis korrekt einen Pharao wiedergab. Auch auf dem innerlichsten Gebiet des menschlichen Wesens, in der Moral, herrscht das Klischee: Die Beteuerungen eines gottgefälligen Lebenswandels sind immer fast wörtlich dieselben. Daß es sich mit der klassischen Literatur nicht anders verhielt, haben wir bereits gehört: Sie war nichts als ein Mosaik aus stereotypen Phrasen, ein Bukett aus getrockneten Redeblumen, vergleichbar dem lateinischen Aufsatz, wie er früher an den Gymnasien üblich war. Auch die Seligkeit erlangt man nur durch die genaue Kenntnis und Anwendung bestimmter Zauberformeln. Ihre Menge war sehr groß, da immer neue hinzukamen, ohne daß die alten aufgegeben werden durften.


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