Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Das ägyptische Weltreich

Hatschepsut hat keine Kriege geführt; entweder weil ihr weibliches Empfinden davor zurückschreckte oder weil sie sich nicht getraute, ihren Gatten an der Spitze eines siegreichen Heeres zurückkehren zu lassen. Infolgedessen begannen die syrischen Provinzen der ägyptischen Herrschaft zu entgleiten. Thutmosis der Dritte aber nahm sogleich nach dem Tode Hatschepsuts die energische Außenpolitik wieder auf. Gerade zu jener Zeit hatte sich in Syrien unter der Führung des Fürsten von Kadesch eine mächtige Koalition gebildet, die darauf abzielte, allen Städten vom Euphrat bis zum Sinai die volle Selbständigkeit wiederzugeben. Außerdem bestand damals östlich vom Tigris, im nördlichen Mesopotamien, ein großes Königreich »Mitani«, das den Aufruhr schürte und mit allen Mitteln unterstützte. Bei Megiddo am Karmelgebirge in Nordpalästina kam es im Mai 1479 zur Schlacht, der ersten in der Weltgeschichte, von der wir eine genauere Schilderung besitzen. Der Raum von Megiddo gehört zu jenen strategischen Schlüsselpunkten Vorderasiens, die immer wieder die kämpfenden Heere magnetisch angezogen haben, ähnlich wie in Europa etwa Custoza, Tannenberg, das Marnegebiet: genau an derselben Stelle erlitt 608 vor Christus König Josia von Juda durch Necho den Zweiten von Ägypten eine entscheidende Niederlage; auch in den Kreuzzügen spielte diese Gegend eine große 346 Rolle, und noch 1799 erfocht Napoleon nicht weit davon einen Sieg über die Türken, der aber die mißglückte Expedition nicht zu retten vermochte. Ehe Thutmosis den Karmel überschritt, hinter dem ihn die Verbündeten in einer sehr günstigen Stellung erwarteten, hielt er einen Kriegsrat ab. Drei Straßen führten über die Höhen: eine nördliche und eine südliche, die beide gut gangbar, aber Umwege waren, und eine direkte in der Mitte, die aber durch einen schmalen Engpaß ging. Der König entschied sich für die mittlere Route, die Offiziere hielten, und vom militärischen Standpunkt aus sicher mit Recht, diese Lösung für sehr gewagt: »Wie kann man diesen Weg gehen«, sagten sie, »der immer enger wird? Wird nicht Pferd hinter Pferd gehen und das Fußvolk ebenso? Wird nicht, während unser Vortrab kämpft, unser Nachtrab warten müssen, ohne kämpfen zu können?« Aber Thutmosis dachte größer: »Werden nicht die elenden Feinde«, erwiderte er, »sich denken: Seine Majestät rückt auf einem anderen Wege vor, weil sie sich fürchtet? Das werden sie sagen. Ich schwöre, so wahr Leben in meiner Nase ist, Meine Majestät wird auf diesem Weg vorrücken. Wer will, mag den anderen Weg wählen; wer will, folge mir.« Dieser Appell an das Ehrgefühl tat seine Wirkung: »Siehe, wir folgen Deiner Majestät, wohin Deine Majestät auch geht«, sagten die Offiziere. Thutmosis setzte sich selbst an die Spitze des Zuges, und der kühne Vormarsch gelang. Die Asiaten hatten nicht einmal Posten aufgestellt und ließen die gesamte ägyptische Armee sich ungehindert am Fuße des Gebirges entwickeln. Sie hielten ihre Position, die im Rücken durch die Festung Megiddo gedeckt war, offenbar für unüberwindlich; aber die ägyptischen Krieger und Streitwagen warfen sich in so erdrückendem Ansturm auf sie, daß ihre Reihen sich lösten und in wilder Flucht in die Stadt wälzten: viele, die die Tore nicht aufnehmen konnten, mußten an Tüchern über die Mauer gezogen werden. In ihrem Siegesrausch begannen die Soldaten, 347 denen in der allgemeinen Verwirrung die Eroberung Megiddos leicht gelungen wäre, sich dem Plündern hinzugeben: das Gestüt, der gesamte Wagenpark und Proviant, der reiche Goldschatz und das silbergewirkte Zelt des Hauptquartiers mit seinen Prunkwaffen und Haremsdamen fiel in ihre Hände; die Feinde aber »lagen ausgestreckt da wie die Fische in der Ecke eines Netzes«. Aber jetzt mußte Megiddo belagert werden, denn die Einnahme Megiddos war soviel wert wie die von tausend Städten, da alle aufrührerischen Häuptlinge hier versammelt waren. Dies hätte sich noch lange hinziehen können; aber die Verbündeten hatten die Möglichkeit einer solchen Entwicklung der Dinge gar nicht in Rechnung gezogen, und so wurde die Stadt bald durch Hunger zur Kapitulation gezwungen. Das Haupt der Koalition war entkommen; die übrigen Fürsten erneuerten den Vasalleneid, verpflichteten sich zu regelmäßiger Tributzahlung und wurden dann in Gnaden in ihre Heimat entlassen. Zur Sicherung des Libanongebietes wurde eine Festung errichtet, die den Namen führte: »Thutmosis bezwingt die Barbaren«; der König selbst aber kehrte nach Theben zurück, um seinem Vater Amon für den Sieg zu danken und reiche Teile der Beute in seine Tempel zu stiften. Aber noch fünf Feldzüge mußte er führen, bis Syrien dauernd unterworfen war, und erst der sechste führte nach zehnjährigem Ringen zum Fall Kadeschs, der Hochburg des Widerstandes. Und nun trug er seine Siegeszeichen sogar bis tief nach Mitani hinein; die Großreiche von Babel und Chatti, die beiden Vormächte des damaligen Vorderasien, bewarben sich um seine Gunst, Zypern und andere Inseln des östlichen Mittelmeers gehorchten seinem Szepter, Kreta stand mit ihm in respektvoller Allianz. Ägypten war eine Weltmacht geworden.

Es war der größte Umfang, den das Reich jemals erreicht hat; doch selbst damals war es, wenn man sich so ausdrücken darf, eine bloß eindimensionale Ausdehnung, nämlich eine 348 ungeheure Linie von Napata bis zum Taurus, die etwa der Entfernung von Stockholm bis Tripolis entsprach, aber sich nur an wenigen Stellen verdickte. Auch als Weltreich war Ägypten nur ein Ufer, wie das Nilland selber. Es scheint, daß alle Großherrschaften in ihrer Bildung von bestimmten organischen Gesetzen regiert werden: ihre Form ist immer eine vergrößerte Wiederholung der Mutterzelle. Es wurde schon vorhin darauf hingewiesen, daß die Phoiniker zwar an die entlegensten Punkte kolonisierend vordrangen, aber nirgends etwas anderes angelegt haben als Küstensiedlungen; ebenso verhielt es sich mit den Holländern. Auch ist es vermutlich kein Zufall, daß die beiden Eckpfeiler des britischen Dominialreiches die Insel Australien und die Halbinsel Vorderindien sind und daß Rußland sich über die halbe Erde ausgebreitet hat, aber immer nur als Kontinentalgröße und Landmasse. »Jeder Engländer«, sagt Novalis, »ist eine Insel«: deshalb konnte dieses Volk auf dem europäischen Festland niemals dauernd Fuß fassen; Rußland ist ein Landmegatherium: deshalb wird es immer dazu verurteilt sein, die Kiemenatmung großer Häfen und Seestationen zu entbehren.«

Thutmosis der Dritte gehört zu jenen Herrschern, denen man ohne Bedenken den Namen des Großen zuerkennen kann. Noch nach Jahrhunderten schwor der Ägypter bei seinem Namen und bannte mit seiner Hieroglyphe die bösen Geister; später aber hat die zerstreute Nachwelt seine Taten auf den viel jüngeren Ramses den Zweiten, ja sogar auf den repräsentativsten Herrscher des Mittleren Reichs, Sesostris den Dritten, übertragen, ähnlich wie der Glanz, der die geheimnisvolle Gestalt Kaiser Friedrichs des Zweiten ein halbes Jahrtausend lang umgab, eines Tages, niemand weiß warum, auf das Haupt Friedrich Barbarossa geflossen ist. In der Verwaltung seines Reichs war Thutmosis von friderizianischer Universalität und Allgegenwart. Er war, wie alle bedeutenden Menschen, ein »Polyhistor des Lebens«. Sein Wesir sagt über ihn: »Der König 349 verstand, was immer geschah, es gab nichts, wofür er nicht einen Weg wußte, nichts, das er nicht zu Ende führte, er war Thoth (die Weisheit) in Person.« Wie Attila und Karl der Große war Thutmosis klein und stämmig von Statur; diejenigen seiner Porträts, bei denen man Ähnlichkeit vermuten darf, zeigen kluge, energische und wohlgebildete, aber etwas derbe Gesichtszüge, doch hat sich, ganz wie bei Karl dem Großen, sehr bald die Legende auch seines Äußeren bemächtigt und aus ihm einen höfisch-milden Priesterkönig gemacht. Vielleicht aber war gerade seine geringe Körpergröße der Grund, daß er, aus einer Art Kompensationsbedürfnis heraus, so gewaltige Kriegstaten vollbrachte und auch im Frieden Bauten aufführte, deren Kolossalität selbst für ägyptische Begriffe erstaunlich ist. Obgleich die vier von ihm errichteten Obelisken, die jetzt in Rom, Konstantinopel, London und New York stehen, nur einen winzigen Bruchteil jener Wälder von Säulengängen, Pylonen, Sphinxen und Riesen ausmachten, bereitete ihr Transport sowohl den Römern wie der modernen Technik die größten Schwierigkeiten.


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