Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die Vasenmalerei

Und doch würde sich heute niemand mehr an jene Nation von Rekordläufern und Monsterschützen, Jockeys und Preisboxern erinnern, wenn sie nicht in dem Werk der Banausen einen Abdruck gefunden hätten, das, als ein unzerreißbares Bilderbuch, all die anderen Spielereien überdauert hat. Und wie die griechische Kunst das griechische Volk überlebte, so war sie auch schon gleichsam vor dessen Geburt da. Lange ehe die Hellenen für uns historisch sind, besitzen sie bereits eine eigenartige Keramik. Diese war zweifellos ihre ursprüngliche Kunst, und sie erzählten, ein Töpfer namens Butades sei es gewesen, der sowohl die Malerei wie die Plastik erfunden habe. In der Tat läßt sich der Erzguß ohne eine vorausgegangene keramische Technik nicht gut denken, und daß die Vasenmalerei die Mutter des Wandgemäldes war, kann man noch heute in Pompeji erkennen. Die Gefäßformen waren überaus mannigfaltig: Es findet sich alles Erdenkliche, von der zweiarmigen Amphora für Vorräte und der dreihenkeligen Hydria zum Wasserschöpfen und dem Krater zum Mischen und Psykter zum Kühlen bis 703 zu dem Rhyton oder Trinkhorn, der Lekythos oder Ölflasche, dem Alabastron oder Salbenbüchschen und den zahlreichen Arten von Bechern und Kannen, Schüsseln und Schalen, Tassen und Tellern, Trichtern und Gießnäpfen. Von der Vasenmalerei der griechischen Frühzeit kann man nicht sagen, daß sie »noch stililsiert« sei, aber ebensowenig, sie sei »schon stilisiert«; sondern dieser strenge lichte Aufbau, diese mathematische Klarheit und Sicherheit der Formulierung war eben von allem Anfang an bis in die spätesten Zeiten eine griechische Spezialität. Sehr zutreffend bezeichnet Heinrich Brunn die Gefäßmalerei als eine Bilderschrift, indem der Gedanke die Hauptsache und die Form nur ein Mittel zu dessen Ausdruck sei. Hier pulst bereits das ganze griechische Leben in leuchtender Fülle, während die Skulptur noch halbtot daliegt, ein Erdenkloß, den der Hauch des Schöpfers nur eben erst berührt hat. Alles ist abgeschildert: Landbau und Seefahrt, Handwerk und Handel, Kriegsdienst und Gottesdienst, Schule und Sport, Straße und Bad, Boudoir und Kinderstube, Hochzeit und Symposion, Liebe und Tod und dazu die ganze bunte und bizarre Gestaltenwelt der Göttersage und Heroenlegende.

Die ältesten Gefäße des sogenannten geometrischen Stils aus dem zehnten bis achten oder siebenten Jahrhundert, deren Verzierungsmotive den uralten Techniken des Flechtens, Webens und Punzens entnommen sind, atmen bereits eine erstaunliche Musikalität. Die berühmtesten sind die Dipylonvasen, so genannt, weil sie auf dem Friedhof vor dem athenischen Doppeltor, dem Dipylon, gefunden wurden. Athen war schon durch den Besitz einer Töpfererde, wie sie sich in solcher Feinheit kaum an einem zweiten Ort findet, auf die keramische Industrie hingewiesen. Der Hauptschmuck der Gefäße bestand in Kombinationen von Kreisen und Kreuzen, Blitzen und Mäandern, die mit souveräner Kraft und Eleganz den Raum gliedern 704 und füllen. Die Menschen, Pferde und Schiffe stehen auf dem Niveau von Kinderzeichnungen; doch ist auch hier die dekorative Anordnung von der höchsten Virtuosität und die primitive tapetenhafte Formulierung vielleicht Absicht, da eben Textilmuster nachgeahmt werden sollen. Die Männer zeigen die kretische Taillenschnürung. Die beliebtesten Themen sind Chöre, Leichenzüge, Wagenkämpfe, Seeschlachten.

Ungefähr mit dem sechsten Jahrhundert setzt die schwarzfigurige Gefäßmalerei ein. Besonders in Attika gelang es, dem tiefschwarzen Firnis einen herrlichen Metallglanz zu verleihen. Eines der prächtigsten Exemplare dieser Stilgattung ist die weltberühmte Françoisvase (1845 von François entdeckt, im Museum zu Florenz); sie schildert in sechs Streifen: die kalydonische Eberjagd, die Leichenspiele für Patroklos, den Zug der Götter zur Hochzeit der Thetis, Achill und Troïlos, allerlei Tierkämpfe und (am Fuße des Gefäßes) eine komische Schlacht zwischen Pygmäen und Kranichen; die Zeichnung ist von bewunderungswürdiger Feinheit. Die Arkesilasschale, auf der der Silphionhandel zur Darstellung gelangt, wurde bereits erwähnt. Auch hier ist alles von sauberster Naturtreue: der gravitätische König in Spitzhut und Schnabelschuhen, die emsigen Vermesser und Verlader, das Tauwerk und die Waage, die ornamental angebrachten Tiere: Panther und Reiher, Affe und Eidechse. Die rennenden, schreienden und gestikulierenden, sich ungeheuer wichtig gebärdenden Kyrenaiker mit ihren spitzen Vogelgesichtern lassen fast an eine Karikatur denken, vielleicht soll auch nur das Exotische der Afrikaner gezeigt werden, in beiden Fällen eine Probe scharfer Menschenbeobachtung. Bei allen diesen zum Teil meisterhaften Miniaturen ist aber der Einfluß der ägyptischen Kunst ganz unverkennbar. Es findet sich alles, was wir an dieser im vorigen Band kennengelernt haben: das »Röntgenbild«, die beschreibende Aufzählung aller Gegenstände, das »falsche Enface«, der erklärende Text, der 705 zugleich Ornament ist, die Ignorierung der Perspektive, der Verzicht auf Modellierung durch Schatten und Lichter, der Traditionalismus, der sich gern festgeprägter Phrasen bedient. Auch die Sitte, die Frauen (übrigens auch die Schimmel) weiß zu halten, ist ägyptische Farbensymbolik, die ganz gedankenlos übernommen wurde, denn bei den Ägyptern ähnelten Männer und Frauen einander in Tracht, Figur und Antlitz oft bis zur Ununterscheidbarkeit, bei den Griechen aber nicht.

Die rotfigurige Malerei, die gegen Ende des sechsten Jahrhunderts auftaucht, kehrte das bisherige Verhältnis um, indem sie auf schwarzgefirnißtem Grund die Figuren im natürlichen Rot des Tons aussparte, wodurch sie die Möglichkeit gewann, die Innenzeichnung noch viel feiner auszuführen. Wir beschränken uns wiederum auf nur zwei Beispiele. Auf der »Schale des Sosias« verbindet Achill den verwundeten Patroklos: unübertrefflich ist sowohl die ganz in die heikle Arbeit versunkene peinliche Aufmerksamkeit des Achill wie die physische Qual des Patroklos wiedergegeben: er wendet den Kopf ab, streckt ein Bein weg, ja lächelt sogar vor Schmerz, eine besonders feine Beobachtung. Auf der »Cäretaner Hydria« ist voll Humor geschildert, wie Herakles sich der Ägypter erwehrt, die ihn zum Opfer führen wollen: es gelingt ihm, nicht weniger als sechs auf einmal umzubringen, indem er zwei niedertritt, einen mit der Linken am Fuß zu Boden schmettert, einen mit der Rechten erdrosselt und zwei mit den Ellenbogen erwürgt: eine köstliche gemalte Münchhausiade. Die ungemein feingliedrigen, fast fragilen Gestalten, die die Vasen dieses Stils bevölkern, hatten offenbar für solche Krafthubereien nur noch Ironie übrig.

Auch die Kunst der Gobelinweberei scheint eine bedeutende Höhe erreicht zu haben. Zwei Teppichwirker, Akesas und Helikon, waren sogar so angesehen, daß man, wenn man etwas besonders loben wollte, die Floskel gebrauchte: »Wie von Akesas und Helikon.« Das sechste Jahrhundert kannte auch schon 706 pinakes, Tontafeln, Ausführung in vorwiegend dumpfen Farben gehalten: braun, schwarz, weinrot, die Zeichnung sauber und sicher, aber hart und gebunden. In die Profile war das Auge en face gesetzt. Von dem Peloponnesier Kimon von Kleonai wird berichtet, daß er als erster verkürzte Bilder gezeichnet habe.


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