Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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David

David, ein schöner Jüngling, gleich begnadet für die Künste des Friedens und des Krieges, war anfangs der Liebling Sauls, dem er in der Schlacht gute Dienste tat und durch Harfenspiel die Sorgen verscheuchte. Er wurde der nahe Freund Jonathans und der Gatte Mikals, der Tochter Sauls. Auch das Volk vergötterte ihn. Hierdurch erregte er die Eifersucht des Königs, der sich in einem Jähzornsanfall dazu hinreißen ließ, gegen ihn den Speer zu schleudern. David flüchtete nach Juda und trieb sich dort als Wegelagerer umher; und schließlich trat er, von Saul bedrängt, sogar zu den Philistern über, die ihm aber mißtrauisch begegneten. Bald darauf kam es zur Entscheidungsschlacht, in der die Israeliten geschlagen wurden und Jonathan mit zwei Brüdern fiel. Saul gab sich, an allem verzweifelnd, den Tod; David ging nach Hebron und ließ sich zum König von Juda ausrufen.

Saul ist eine tiefe und tragische Gestalt, in seinem Schwanken zwischen finsterer Tatkraft und grüblerischer Schwermut Ibsens Jarl Skule vergleichbar, während David, der helle, 443 kindhafte Liebling des Schicksals, an Hakon erinnert. Und auch der dritte Protagonist des Dramas, Bischof Nikolas, findet sein Gegenstück in Samuel, der zwischen den Kronprätendenten seine geheimnisvollen Fäden spinnt und sogar, ganz wie Nikolaus dem Jarl, dem Saul vor der Schlacht als Geist erscheint. Und wie Hakon triumphiert David über den Nebenbuhler, der vielleicht die machtvollere Persönlichkeit ist, weil dieser aus dunklen Gründen »Gottes Stiefkind auf Erden« ist, er aber den »Königsgedanken« besitzt.

Seine erste, höchst folgenreiche Tat war, daß er Jerusalem eroberte, das sich bis dahin in den Händen der Kanaaniter befunden hatte, und zur politischen und religiösen Metropole machte, indem er es zu seiner Residenz erhob, ausbaute und stärker befestigte und die Bundeslade dorthin bringen ließ, die die Philister geraubt hatten, aber nicht behalten wollten, denn sie hatte ihnen nur Unsegen gebracht: sie setzten sie auf einen Wagen und ließen die Kühe damit ziehen, wohin sie wollten; ein ergreifendes Bild: der obdachlose Gott! Die Wahl der Hauptstadt war für den Schwerpunkt eines »großisraelitischen« Imperiums, wie es David vorschwebte, sehr glücklich getroffen. Und in der Tat gelang es David, dieses Reich zu schaffen. Er drängte in schweren Kämpfen die Philister endgültig aus dem Lande, befreite die Südgrenzen von der Plage der Amalekiter, die von da an nie wieder erwähnt werden, und unterwarf die hebräischen Bruderstämme Edom, Ammon und Moab. Seine Kriegführung war der Zeit gemäß schonungslos und grausam; doch schenkt ihm die Überlieferung auch Züge einer gewissen lyrischen Weichheit, die das Gepräge historischer Echtheit tragen. Eine unerbittliche Gewaltnatur hingegen war sein Feldhauptmann Joab, ein wahrhaft treuer Diener seines Herrn und die Seele aller militärischen Unternehmungen. Von der Art seiner Operationen kann man sich allerdings kein Bild machen, da die biblische Erzählung nur 444 Einzelkämpfe schildert wie die Ilias. Trotz allen Erfolgen ist es aber David doch nicht völlig gelungen, Norden und Süden zu einer Schicksalseinheit zusammenzuschweißen. Israel und Juda haben sich immer bloß in Personalunion empfunden wie Sumer und Akkad, Norwegen und Schweden, Belgien und Holland, Österreich und Ungarn, nur die Judäer erblickten in David ihren nationalen König und in Jerusalem ihre heilige Stadt: Es waren eben doch zwei verschiedene Volkskörper, die nur der spätere Sprachgebrauch fälschlich identifiziert hat. So paradox es klingen mag: Die Israeliten waren keine Juden.

Man darf sich durch die Phraseologie des Alten Testaments auch nicht dazu verführen lassen, sich das Davidreich als eine wirkliche Großmacht vorzustellen. Dazu war es schon allein dadurch unfähig, daß es keinerlei Küstenentwicklung besaß. An den früheren Verhältnissen gemessen, war es etwas Bedeutendes geworden: ein wohlorganisiertes Staatswesen mit gut arrondierten Grenzen. Aber doch nur ein kleines: etwa vom Range eines der Balkanstaaten der Vorkriegszeit und, wie diese, nur durch die Eifersucht der wirklichen Großmächte imstande, selbständig zu bestehen und sich zu expandieren; wie der Zar und der Kaiser von Österreich auf Bulgarien und Serbien, dürften der Pharao und der asiatische Großkönig auf Israel und Juda geblickt haben. Gleichwohl kann man sagen: Saul und David haben durch ihr straffes Königtum Palästina in die Weltgeschichte eingeführt.

Die letzten Regierungsjahre Davids waren von inneren Wirren erfüllt. Daß er sich trotz seiner machtvollen Popularität vor Rebellionen niemals ganz sicher gefühlt hat, zeigt seine stehende Leibwache »Krethi und Plethi«, die aus fremden Söldnern: Kretern und Philistern, bestand. Sein Sohn Absalom ließ sich in Hebron zum König ausrufen und fand großen Anhang; David mußte sich nach dem Ostjordanland zurückziehen. Als Absalom seinem Vater über den Jordan nachsetzte, wurde er 445 von dem grimmen Joab besiegt und gegen den Befehl Davids getötet, der, obschon nun wieder auf dem Throne befestigt, den verlorenen Liebling in lauten Klagen beweinte. Die Intrigen um die Erbfolge gingen weiter. Nach Absaloms Tod war Adonia der älteste Sohn und legitime Kronprinz; trotzdem ließ sich der greise König dazu bestimmen, Salomo, den Sohn seiner Lieblingsfrau Bathseba, zum Mitregenten anzunehmen und zu seinem Nachfolger zu ernennen. Bathseba berief sich dabei auf ein Versprechen, das der König ihr einst gegeben hatte; auch der ränkische Prophet Nathan hatte dabei seine Hand im Spiele, während Joab das Thronrecht Adonias verfocht, der seinerseits wahrscheinlich dem Gedanken nicht fernstand, in die Fußstapfen Absaloms zu treten. Die Endzeit Davids scheint demnach trübe und unerquicklich gewesen zu sein.

In seiner Vollkraft muß er aber eine bezaubernde Erscheinung gewesen sein: voll persönlicher Anmut, naiver Liebenswürdigkeit und sogar nicht ohne eine gewisse künstlerische Ader; die Psalmen hat er freilich nicht gedichtet, da sie von einer Gottesanschauung getragen sind, die seiner Zeit noch völlig fremd war. Eine gewisse Schwäche seines Wesens, entsprungen aus einem dunklen Schuldgefühl, macht ihn nur noch sympathischer. Die vielen Lumpereien und Roheiten, die er im Lauf seines Lebens begangen hat, wirken durchaus menschlich und verständlich, wenn man sich als ihren Träger den halbbarbarischen Häuptling eines antiken Raubstaats vorstellt. Ganz wie die Erzväter wird er verächtlich erst durch die spätere Tradition. Der Strahlenmantel der Gottesfurcht und Gesetzestreue, den ihm das um sieben Jahrhunderte jüngere »Buch der Chronik« umgehängt hat, kleidet ihn sehr schlecht: Er verwandelt den heißblütigen Abenteurer und Genußmenschen, der triebhaft seinen Leidenschaften folgt, in einen diabolischen Heuchler und öligen Schurken: Karl Moor in Franz Moor. Erst der Heiligenschein macht ihn zum Scheinheiligen. 446


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