Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Phidias

Wie bei Sophokles die Handlung aus dem Charakter erwächst, so entwickelt sich bei Myron, dem Bildhauer, die Bewegung der Figuren aus deren Grundform. Auch gibt es bei Sophokles einen ebenso streng durchgeführten Kanon der Proportionen wie bei Polyklet. Die stärkste Verwandtschaft aber verbindet ihn mit Phidias, dessen berühmteste Werke der Zeus in Olympia und die drei Athenen waren. Die bronzene Athena Promachos (die »Vorkämpferin«) stand auf der Akropolis; sie war etwa sieben Meter hoch, ihr goldener Helmbusch vom Meere aus sichtbar. Nicht weit von ihr befand sich die Athena Lemnia, ebenfalls aus Bronze, so genannt, weil nach Lemnos ausgewanderte Athener sie gestiftet hatten; die Berechnungen schwanken zwischen neun und einundzwanzig Meter (die Bavaria ist neunzehn Meter hoch). Den Helm trug sie nicht auf dem Haupte, sondern in der vorgestreckten rechten Hand. Der Kopf (wenn der von Furtwängler aufgefundene mit Recht als Kopie gelten darf) muß Zartheit mit Energie und Lieblichkeit mit Klugheit in hinreißender Weise vereinigt haben; er ist, womit wahrscheinlich das Männliche der gelehrten und kriegerischen Göttin angedeutet werden soll, nach Art eines Bubikopfs frisiert: bei antiken Statuen eine große Seltenheit. Die Athena Parthenos, ein Goldelfenbeinwerk, ungefähr zwölf Meter hoch, stand im Parthenon. Es muß, da das Elfenbein sicher gefärbt und das Gold verschiedenfach getönt war, die Augen aus funkelnden Edelsteinen bestanden und auch sonst mit Juwelen nicht gespart war, sehr bunt und prächtig gewirkt haben. Das abnehmbare Gewand, in das über tausend Kilogramm reinen Goldes verarbeitet waren, diente als Kriegsschatz. Die Athener waren eben selbst als Bankiers Künstler, wie sie denn auch ihren Staatsverträgen mit Vorliebe die Form kunstvoller 845 Marmorreliefs gaben. Der Zeus im Tempel von Olympia, in Material und Ausmaßen das Gegenstück zur Parthenos, galt als eines der Sieben Weltwunder. Er saß »bunt von Gold und Edelsteinen, Ebenholz und Elfenbein«, wie Pausanias ihn schildert, auf dem Haupt einen Kranz von Olivenzweigen, in der Rechten eine Nike, in der Linken ein Zepter, aufrecht auf seinem Thron; aber bei aller Gewaltigkeit, die befürchten ließ, er möchte, wenn er sich erhöbe, die Decke des Tempels zertrümmern, war er nicht der Blitzer und Donnerer, sondern in seiner gedankenreichen Milde Gottvater ähnlicher als Jehova. Der Thron trug reichsten Schmuck aus vielfältigem Bildwerk, in den Mantel waren zahllose Figürchen und Blumen eingelegt, selbst der Fußschemel zeigte eine Amazonenschlacht. Phidias war nämlich auch ein Meister der Kleinkunst: Martial erwähnt ziselierte Fische, eine Zikade, eine Biene und eine Fliege als Werke seiner Hand, die ebenso berühmt waren wie seine Giganten. Von dem Zeus, der noch dem ganzen Altertum im Original bekannt war, uns aber nur durch Abbildungen auf Münzen zugänglich ist, hieß es, er sei ein Zaubermittel, das alle Sorge und alles Leid vergessen mache, und wer ihn nicht erblickt habe, sei umsonst auf die Welt gekommen; der homerische Zeus habe in ihm Körper angenommen, ja der Gott selber sei in ihm gegenwärtig. Dio Chrysostomus sagte: »Das ist das Große am Zeus des Phidias, daß, wer ihn gesehen hat, nie mehr ein anderes Bild in sich aufkommen lassen wird.« In der Tat erschien hier der Gott ein für allemal geformt: in so persönlicher und zugleich typischer Gestalt, daß es seitdem ein allgemeingültiges Zeusbild gab, wie es einen Napoleonkopf und einen Goethekopf gibt.

Ein Epigramm besagte: wer die knidische Aphrodite des Praxiteles sehe, werde das Urteil des Paris bestätigen, betrachte er aber dann die Athene des Phidias, so müsse er den Paris einen Rinderhirten schelten. Die phidiasische Schönheit war eine 846 geistige. Gerade die Vollkommenheit seiner Göttergestalten beweist, daß er bereits über ihnen stand. Winckelmann nennt sie »reine Geister und himmlische Seelen« und meint, sie hätten »nur gleichsam Blut«. Dies war freilich zu weit gegangen und, nochmals gesagt, der typische Irrtum des Klassizismus, hauptsächlich verschuldet durch den Umstand, daß dieser die griechischen Kunstwerke in einem Zustand kennenlernte, wo die Zeit die Farbe bereits abgewaschen hatte; bleich und anämisch starrten sie der Nachwelt aus leeren Augenhöhlen entgegen, die so ein ganz gefälschtes Bild empfangen mußte. Aber eine gewisse olympische Ruhe ist gleichwohl (nur auf dieser kurzen Gipfelstation des griechischen Kunstschaffens) sowohl über die Gestalten des Phidias wie die des Sophokles gebreitet: beidemal ein geheimnisvoller Goldgrund, der zugleich wärmt und entrückt, eine Süße der Melodik, die aber immer herb bleibt, eine spiegelnde Glätte, aber wie die des besonnten Meeres über Tiefen. Beide Künstler nähern sich bereits mit seinem Empfinden der Frauenseele, aber sie erscheint bei ihnen noch wie unter einem Schleier, fern und verschwiegen, wie bei Leonardo, während man an den satinierten problemlosen Raffael, der mit Vorliebe zum Vergleich herangezogen wird, gerade nicht denken darf, denn hier liegt das Gemeinsame lediglich in der Kristallreinheit der Form und der Maestria der Technik, also ganz an der Oberfläche.

Diese Kunst hat alle Züge der Vornehmheit: das ungezwungene Beherrschte, das selbstverständlich Gebietende, die heitere Würde, die Distanz ohne Hochmut, das selbstgenügsame Insichruhen, die Rassigkeit in jeder Faser und Bewegung, den unfehlbaren Geschmack, der aus dem Blut kommt; und doch ist sie nicht aristokratisch. Das ist etwas Einzigartiges. Erscheinungen wie im perikleischen Athen hat es sonst in Demokratien nie gegeben. Wann war eine Kunst je so gewählt und zugleich so volkstümlich? Wann war eine Tracht so bürgerlich 847 und zugleich so nobel? Wo gab es je die Gestalt des Bourgeois gentilhomme, nicht als Karikatur, wie das Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten sie mit Recht sah, sondern als gelungene Synthese, wie sie am leuchtendsten in Perikles selber, aber auch in allen seinen führenden Zeitgenossen verkörpert war? Die Parthenonskulpturen sind ein Idealbild, aber nicht einer dünnen Oberschicht, sondern einer ganzen Stadt. Diese Reiter und Jungfrauen sind nicht aus dem Palast, sondern von der Straße geholt. Die Griechen müssen doch ein sehr merkwürdiges Volk gewesen sein.


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