Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die ägyptische Finsternis

158 Nach einer byzantinischen Periode von einem Vierteljahrtausend geriet Ägypten unter die Herrschaft des Islams. Islam ist ein Infinitiv und bedeutet »sich ergeben« (in den Willen Allahs); moslim ist das Partizip dazu: der sich Ergebende; hidschra, die Übersiedlung Mohammeds von Mekka nach Jathrib, das von da an Medina, »die Stadt«, heißt, bedeutet nicht »Flucht«, sondern »Lossagung«. Acht Jahre danach, 630, zog Mohammed in Mekka als Sieger ein, zwei Jahre später starb er. Im dschihad, dem Heiligen Krieg, der nun aufflammte, eroberten die Moslim in weniger als einem Jahrhundert Syrien, Persien, Nordafrika, Südspanien; Ägypten schon im Jahre 640. Dort gründeten sie die Hauptstadt el Kahira, »die Siegreiche«. Fünf Jahrhunderte lang entfaltete die islamische Kultur unter den Abbasiden, die als Kalifen oder »Stellvertreter« (des Boten Allahs) in Bagdad, »Geschenk Gottes«, residierten, einen zauberhaften Glanz: in den Wundern ihrer Moscheen und Paläste, Brunnen und Bäder, der Formenpracht ihrer Arabesken und Stalaktiten, Märchen und Liebespoesien und der Tiefe ihrer Blicke in die Natur; noch heute verkünden Wörter wie Algebra und Algorithmus, Zenith und Azimut, Alkali und Alkohol, was wir den Arabern verdanken. Ägypten aber hat in mohammedanischer Zeit der Kulturwelt nur ein einziges Geschenk gemacht, die Geschichten »aus tausendundeiner Nacht«, die, aus Indien stammend, dann von persischen und arabischen Händen überarbeitet, in ihren jüngsten Teilen ägyptisch sind: ein kostbares Gemälde der Mameluckenzeit, dessen blutige und bizarre Farben noch heute brennen.

In all diesen Jahrhunderten war Ägypten verschollen. Seine Pyramiden und Pharaonen waren zur Sage geworden. Ägyptische Finsternis lagerte über dem Nilland. Man wußte von ihm, was im Buch Mose stand, und daneben noch etwas gruseligen Hokuspokus, dessen sich noch zur Zeit der Aufklärung Geheimgesellschaften wie die Rosenkreuzer und Scharlatane wie 159 Cagliostro bedienten: auch in Schillers prachtvollem »Geisterseher« ist der Fadenzieher des Gaukelspiels ein Ägypter. Winckelmann brachte der ägyptischen Kunst nur ein sehr geringes Verständnis entgegen, was Herders feinem Gefühl für Volksindividualitäten nicht entging: er macht »dem besten Geschichtsschreiber der Kunst des Altertums« den Vorwurf, daß er über die Kunstwerke der Ägypter »offenbar nur nach griechischem Maßstabe« geurteilt, sie also verneinend geschildert habe: »und da es den Ägyptern meistens so geht, daß man zu ihnen aus Griechenland und also bloß mit griechischem Auge kommt – wie kann's ihnen schlechter gehen?« Dies änderte sich erst durch die ägyptische Expedition Napoleons. Sie verwirklichte eine Idee, die schon Leibniz Ludwig dem Vierzehnten unterbreitet hatte; in seiner Denkschrift vom Jahre 1672, die aber wahrscheinlich nie an den König gelangte, waren sehr lichtvoll und überzeugend die Vorteile des Unternehmens erörtert: dieses Mittel ergreifen, heiße die Taten Alexanders nachahmen; Ägypten sei der Isthmus der Welt, das Band zwischen Orient und Okzident, das allgemeine Emporium, der Weg nach Ostindien und damit die einzige Stelle, von der aus die Macht Hollands entscheidend getroffen werden könne. Einen ähnlichen Schlag beabsichtigte Napoleon fünf Vierteljahrhunderte später gegen England. Sein ägyptischer Feldzug war bekanntlich ein Mißerfolg, aber gleichwohl eine der glänzendsten Taten seines Lebens, denn er bedeutete die Eroberung Ägyptens für die europäische Wissenschaft. Ein ganzer Stab von hervorragenden Gelehrten hatte Napoleon begleitet, darunter Monge, der Erfinder der »darstellenden Geometrie«, Berthollet, der Entdecker der chemischen Wahlverwandtschaft, Denon, der Porträtist Voltaires, einer der ersten Kunstkenner seiner Zeit. Im August 1798 wurde das Institut d'Égypte gegründet, genau ein Jahr später wurde der Stein von Rosette entdeckt, von dem wir noch hören werden.

160 In den Kämpfen gegen Bonaparte tat sich ein albanischer Offizier namens Mehmed Ali besonders hervor, der aber sein Talent und seine Energie sehr bald gegen den Sultan selbst wandte. Er machte sich als Statthalter Ägyptens vollkommen unabhängig, eroberte den Sudan, der seit den Pharaonen nicht mehr ägyptisch gewesen war, und entriß der Türkei Kreta und Syrien. Er mußte zwar unter dem Druck der Großmächte diese beiden Gebiete wieder herausgeben, erlangte aber die Ernennung zum offiziellen, der Türkei bloß tributpflichtigen Erbherrscher und wurde so der Begründer der noch heute regierenden Dynastie. Seine bemerkenswertesten Nachfolger waren Said, der Begründer des herrlichen Museums zu Kairo und der wichtigen Hafenstadt Port Said, und Ismail, der den Suezkanal eröffnete und den Titel eines Chediws oder Vizekönigs erlangte, aber durch ausschweifenden Luxus die Finanzen des Landes vollständig ruinierte. Dies führte unter seinem Sohn zu einer Militärrevolte, die, in ein Europäergemetzel ausartend, 1882 England den Vorwand zur Okkupation gab. Kurz darauf ging durch den Mahdistenaufstand der Sudan verloren, der erst 1898 durch Kitchener wiedererobert wurde. Seit März 1922 ist Ägypten ein unabhängiges Königreich mit konstitutioneller Verfassung, allein England ist durch die Kriegsschiffe im Hafen von Malta und die beiden Riesenstauwerke, das seit 1925 fertiggestellte am Blauen Nil und das im Bau begriffene am Weißen Nil, von denen die ganze Wasserversorgung Ägyptens abhängt, nach wie vor Herr des Landes. Die bewegten politischen Schicksale Ägyptens haben aber die Erforschung seiner Geschichte und Sprache, Kunst und Kultur niemals ernstlich beeinträchtigt, die während des ganzen neunzehnten Jahrhunderts eine ständig steigende Entwicklung nahm. Um die Mitte des Jahrhunderts waren ihre bedeutendsten Vertreter der Deutsche Richard Lepsius und der Franzose Auguste Mariette, später standen die Deutsche Orientgesellschaft und die englische 161 Egypt exploration society in schönem Wettstreit, in ihren aufregenden Entdeckungsreisen in die Vergangenheit von der Teilnahme der ganzen Welt begleitet: Namen wie Nofretete und Tutenchamon sind heute so populär wie einst Semiramis und Sardanapal.


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