Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der Sündenfall

Aber es gibt ein Stück im Alten Testament, um deswillen man fast versucht wäre, alles übrige in den Kauf zu nehmen, und es steht ganz am Anfang: es ist die Geschichte vom 34 Sündenfall. Die Sünde der ersten Menschen besteht darin, daß sie vom Baum der Erkenntnis essen; der Verstand ist also das Böse, er ist nicht von Gott, sondern vom Teufel, »des Teufels Hure«, wie Luther sich drastisch ausdrückte, die Mitgift der Schlange, auf deren Rat es zum Genuß der verbotenen Frucht kommt. Er ist die große Versuchung des Menschen, die dieser nicht bestanden hat. Und seine Strafe dafür ist die Arbeit, zu der er verflucht wird. Erkenntnis und Arbeit sind fortan das Los des Menschen, seine Erbsünde und sein Erbfluch. Und seitdem muß er sterben.

Aber wo in der grauen Geschichte des Alten Bundes kehrt dieses machtvoll angeschlagene Leitmotiv wieder, obgleich es doch, so sollte man annehmen, wie ein eherner Glockenton durch das ganze fernere Menschheitsdrama schallen müßte? Als Adam und Eva vom Apfel gegessen hatten, sahen sie, daß sie nackt waren, das heißt: sie erkannten, daß sie Mann und Weib waren: also auch Geschlechtlichkeit ist Sünde. Die höchsten Güter aber, die alle Frommen Israels preisen, Könige und Propheten, Priester und Patriarchen, sind unbegrenzte Fruchtbarkeit des Menschen, unerschöpflicher Segen der Erde, unfehlbares Wissen um das Gesetz: Brunst, Arbeit, Erkenntnis; der dreifache Adamsfluch.

Und in der Tat ist der Anfang der Genesis ein eingesprengter Fremdkörper. Schon eine sehr alte babylonische Abbildung zeigt einen Baum, zur Rechten einen Mann, zur Linken ein Weib und dahinter eine Schlange. Das Paradies entspricht den Inseln der Seligen in der epischen Dichtung der Babylonier. Dort findet sich auch die Verführungsgeschichte. Die Entstehung des ganzen Abschnittes fällt in die Zeit der Assyrerherrschaft, die in Palästina eine Periode des religiösen Synkretismus war. Deshalb sagt auch Schopenhauer: »Die Verbindung des Neuen Testaments mit dem Alten ist im Grunde nur eine äußerliche, eine zufällige, ja erzwungene, und den einzigen 35 Anknüpfungspunkt für die christliche Lehre bot dieses nur in der Geschichte vom Sündenfall dar . . . der im Alten Testament wie ein hors d'œuvre dasteht.«

Zwischen der Gottheit des Alten und der Gottheit des Neuen Testaments kann es daher nicht Identität oder Harmonie, auch nicht das Verhältnis halber und voller Offenbarung geben, sondern nur schroffe Alternative. »Ihr müßt«, sagt Kant, »zwischen Jahwe, dem deus ex machina, und Gott, dem deus ex anima, wählen, für beide ist nebeneinander nicht Platz.«


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