Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die griechische Szene

Aber verlassen wir das unwirtliche Nebelgebiet der Spekulation, die nach dem »Gewordensein« der Dinge fragt, und halten wir uns an die solide und konkrete Erfahrungstatsache des Gewordenen, die völlig eindeutig im hellen Sonnenlicht liegt. Wir bemerken, daß alle menschliche Geschichte, soweit wir auch den Blick in Zeit und Raum senden mögen, sich immer auf einer bestimmten Bühne abgespielt hat, in einer eigentümlichen Szenerie, die freilich noch lange nicht das Drama selbst ist: diese materialistische Ansicht wäre ebenso unhaltbar wie der Standpunkt mancher Theaterentrepreneure, daß die Hauptsache die 572 Ausstattung sei. Die Umwelt ist nur ein Requisit: aber jeder Regisseur weiß davon zu erzählen, wie bedeutsam und unentbehrlich, ja schicksalhaft oft die Rolle eines Requisits sein kann. Und ebenso weiß jeder echte Dramatiker, daß das Bühnenbild mehr ist als »Dekoration«, wie es sehr unzutreffend genannt wird, daß es tönend, färbend, dämpfend unterstreichend das Seelengeschehen wirksam begleitet und als stumme Person unablässig mitspielt. Goethe schreibt: »Nun ich alle diese Küsten und Vorgebirge, Golfe und Buchten, Inseln und Erdzungen, Felsen und Sandstreifen, buschige Hügel, sanfte Weiden, fruchtbare Felder, geschmückte Gärten, gepflegte Bäume, hängende Reben, Wolkenberge und immer heitere Ebenen, Klippen und Bänke und das alles umgebende Meer mit so vielen Abwechslungen und Mannigfaltigkeiten im Geiste gegenwärtig habe, nun ist mir erst die Odyssee ein lebendiges Wort.« Und dies schrieb er gar nicht aus Griechenland, sondern aus Neapel, wo allerdings schon früh Griechen eine zweite Heimat fanden: So stark empfand er bereits dort die Macht des Lokals. Die »griechische Szene«, jahrhundertelang maßlos überschätzt, ist gleichwohl von der griechischen Kultur nicht wegzudenken.


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