Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die ägyptische Landschaft

Gleichwohl ist Ägypten von allen Völkern mit Recht als ein Paradies angesehen worden. Sein Winter entspricht etwa unserem Sommer: überall wogende Getreidefelder und weidendes Vieh; im Sommer ist es ein Tropenland. Das ganze Jahr gibt es frische Blumen und Früchte, und fast jeden Tag kann man im Freien verbringen; des Nachts prangt der Himmel in kristallener Klarheit, und seine Sterne, in der Tat goldenen Lampen vergleichbar, funkeln in märchenhafter Leuchtkraft zum Greifen nahe. Weder die Farbenscheu der klassizistischen Baukunst und Plastik noch die Valeurmalerei des Impressionismus wäre in diesem Land möglich gewesen, wo die Sonne jedes Objekt aufs glänzendste koloriert, aufs schärfste umreißt und aufs deutlich sie meißelt. Daß die ägyptische Kunst zu einer so hohen Blüte gedieh, wurde begünstigt durch die Fülle vortrefflicher Gesteine, die das Land barg: bei Assuan wurde neben dem Syenit der wunderschöne Rosengranit gebrochen, auch Diorit und Basalt, in Oberägypten Marmor, Porphyr und sehr harter Sandstein, im Delta Alabaster und Gips, und Kalkstein überall. Ägyptische Charakterbäume waren wohl zu allen Zeiten die im 144 Nilland besonders süß duftende Akazie, der Granatbaum mit seinen herrlichen Blüten und Äpfeln, die schattige feigenspendende Sykomore, die Dattelpalme, die nicht bloß Nahrung, sondern auch Blätterschindeln, Bastmatten, Stäbe, Körbe, Besen lieferte, und die Dumpalme, wegen des eigentümlichen Geschmacks ihrer Früchte auch Pfefferkuchenbaum genannt. Die Palme ist die typische Oasenpflanze, denn sie liebt den heißen Atem der Wüste, hat aber andrerseits sehr durstige Wurzeln. Auch Cucurbitaceen, wie Wassermelone, Flaschenkürbis, Gurke, hat es schon im alten Ägypten gegeben, und von Zwiebel, Rettich und Knoblauch behaupteten die Griechen sogar, daß sie dort göttlich verehrt würden. Hingegen fehlten die beiden delikatesten Gemüse, Spargel und Artischocke: der Ägypter scheint niemals etwas für sie übrig gehabt zu haben, denn auch in der Gegenwart werden sie, obschon von hervorragender Qualität, nur für Europäer gebaut; die Römer hingegen schätzten sie sehr und züchteten die Artischocke mit besonderem Mist, den Spargel zu besonderer Dicke. Die Weintraube, deren köstlichste Sorten aus dem Faijum kommen, wird heute nur noch gegessen, da das Land mit billigen ausländischen Weinen überschwemmt wird. Im Altertum gehörte zu jedem größeren Gut ein Weinberg; aber sollte die Umkehrung des Verhältnisses wirklich so vollkommen gewesen sein, daß Trauben überhaupt nicht verzehrt wurden? Diesen Schluß wollten einige Forscher aus der Tatsache ziehen, daß sie sich als Tafelobst nirgends dargestellt finden; das aber heißt die Gewissenhaftigkeit zu weit treiben: man kann doch nicht annehmen, daß die Ägypter den Genuß der rohen Traube ausschließlich den Affen überlassen haben, denn bei diesen ist er durch Bilder bezeugt.

Das heutige Landschaftsbild deckt sich nicht vollkommen mit dem antiken. Zunächst hat der erwähnte Wechsel im Anbau die Physiognomie verändert, ferner gibt es heute viel mehr Bäume, darunter die so charakteristischen Agrumen: Zitrone, 145 Orange, Mandarine; auch Pfirsich, Aprikose, Banane, alle von erlesener Güte, sind neu. Und vor allem: Der Papyrus ist fast ganz verschwunden, die Repräsentationspflanze des alten Ägypten, an symbolischer Bedeutung der deutschen Eiche vergleichbar. Er wuchs über das ganze Delta hin bis zu anderthalbfacher Manneshöhe in malerischen Sumpfdickichten, in denen Käfer und Schmetterlinge, große und kleine Wasservögel, Fische und Frösche ein buntes Leben entfalteten. Hier im Nachen spazierenzufahren, zu jagen und zu fischen war das größte Vergnügen des Ägypters. Der Papyrus diente schlechterdings zu allem: sein fleischiger Wurzelstock war eßbar, aus dem unteren Ende seiner Stengel preßte man aromatischen Zuckersaft, aus dem Mark verfertigte man Fackeldochte, aus der Rinde Segel und Sandalen, er lieferte dicke Taue und Körbe, ganze Kähne und Tragbahren, vor allem aber war er ein komplettes Schreibwarenmagazin: aus den spitzen Blütenhüllen wurden Griffel gemacht, aus der verkohlten Wurzel Tinte, aus den Schäften das berühmte Papier. Daneben verwendete man auch Pinsel aus zerfasertem Rohr, die in einem Wassergefäß angefeuchtet wurden, und schwarze Tusche aus Holzkohlenpulver, für Initialen und »Fettdruck« rote Tusche. Die Herstellung der Papierblätter war verhältnismäßig einfach. Man schnitt dünne Streifen, die man senkrecht nebeneinander legte, und bedeckte diese mit einer ebensolchen Lage waagrechter Streifen. Dann wurde das Ganze durch Klebstoff verbunden, gepreßt, getrocknet und poliert, und der Papyrus war fertig: ein Schreibmaterial von höchster Feinheit, Dichtigkeit und Weiße, ebenso schön fürs Auge wie angenehm im Gebrauch, dabei von fast unzerstörbarer Dauerhaftigkeit. Klebte man die Papierblätter aneinander, so entstanden Buchrollen, die bisweilen eine Länge von vielen Metern erreichten. Eine stehende Figur im alten Ägypten ist der Schreiber mit Tintenfaß und Rolle und der Reservefeder hinterm Ohr. Auch der echte Lotus, die 146 ägyptische Seerose, ist heute im Nilland ausgestorben; er unterschied sich von den heute noch vorhandenen Arten: einer blauen, die sich bei Tag, und einer weißen, die sich des Nachts öffnet, dadurch, daß seine Blüten größer und rosenfarbig waren und nicht schwammen, sondern sich auf geraden holzigen Stengeln über den Wasserspiegel erhoben; sie strömten einen lieblichen Anisduft aus. Lotos und Papyrus lieferten den Modellschatz für die ägyptische Säule, die, ursprünglich dreikantig wie der Papyrusstengel, in ihrem Schaft bald den einfachen Halm, bald ganze Bündel, in ihrem Kapitell offene Einzelblüten, geschlossene und Dolden nachahmt; doch gab es auch Palmenkapitelle. Die Basis der Säule war blau oder braun, das Emporsteigen der Pflanze aus dem Wasser oder der Erde andeutend. Die ägyptische Säule will nicht, wie die meisten anderen Säulenformen, die Funktion des Tragens symbolisieren, wozu eine Blume auch ganz ungeeignet wäre; und ebensowenig ist dies bei den seltenen Pfeilerfiguren der Fall, die sich den griechischen Karyatiden vergleichen lassen: der Gott Bes zum Beispiel, der bisweilen hierzu verwendet wird, hat eine Federkrone auf dem Kopf, die ebenfalls als Stütze einer Last widersinnig wäre. Der Tempelsaal bedeutet für den Ägypter nicht einen geschlossenen Raum, sondern seine Decke ist der blaue Himmel, in den Vögel und Sterne gestickt sind.


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