Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die Anabasis

Auch im Osten hatten sich kurz nach dem Peloponnesischen Kriege bedeutsame Ereignisse vollzogen. Dort war im Jahr des Friedensschlusses Dareios der Zweite gestorben, dessen Beinamen »Nothos«, der Bastard, zeigt, daß die Legitimität der persischen Erbfolge bereits erschüttert war. Ihm folgte sein Sohn Artaxerxes der Zweite, ein Schwächling zwischen zwei Weibern, seiner Gattin Stateira und seiner Mutter Parysatis. Diese 897 sann insgeheim darauf, ihren Lieblingssohn Kyros auf den Thron zu bringen, der, eine glänzende Erscheinung und in vielem seinem großen Namensvetter nicht unähnlich, als Satrap von Kleinasien, das er musterhaft verwaltete, aus ganz Griechenland Söldner warb, um seinen Bruder durch einen großen Angriff zu überrumpeln, was ihm auch vollständig gelang. Ohne Widerstand zu finden, zog er bis vor die Tore Babylons, und erst bei dem Dorf Kunaxa kam es 401 zur Schlacht. Schon begann der linke Flügel des eilig aufgebrachten numerisch überlegenen Perserheeres zu weichen, als Kyros, der sich in ritterlicher Unklugheit zu weit vorgewagt hatte, durch einen feindlichen Speer den Tod fand: zu seinem Obersten Klearch, einem nüchternen Militär, der ihn gewarnt hatte, soll er gesagt haben: »Willst du, daß ich an dem Tage, wo ich um die Krone kämpfe, mich ihrer unwert mache?« Der berühmte Rückzug der zehntausend Griechen, die auch nach dem Verlust ihres Führers das Feld behauptet hatten, aber nun nicht mehr wußten, wofür sie fechten sollten, vollzog sich von Oktober 401 bis März 400: unter der Führung Xenophons gelangten sie bei Trapezunt ans Schwarze Meer. Seine Schilderung darf als zuverlässig gelten, denn er besitzt bei aller Enge des Horizonts und Banalität des Blicks eine thukydideische Eigenschaft: Er macht sich und andern nichts vor. Das wichtigste an der ganzen Sache war, daß die Griechen zum erstenmal einen klaren Einblick in die Zerrüttung der Verhältnisse am königlichen Hofe und die Rückständigkeit des persischen Heerwesens gewannen und diese Kunde nach Hause trugen. Der Alexanderzug war eine zweite und glücklichere Anabasis. Wäre aber Kyros nicht gefallen, so läßt sich wohl kaum daran zweifeln, daß er, mit Hilfe der ungeheuern Machtmittel seines Reichs, der griechischen Waffentüchtigkeit und Intelligenz und seiner eigenen Energie und Organisationsgabe, die Herrschaft über das Mittelmeer errichtet hätte. Wiederum hat, wie im Xerxes-Krieg, zur Rettung 898 der abendländischen Kultur eine unsichtbare Geisterhand in die Geschichte gegriffen.

Da den kleinasiatischen Griechenstädten, die sich Kyros angeschlossen hatten, von Artaxerxes eine Strafexpedition drohte, wandten sie sich an Sparta um Hilfe, das sie gewährte, aber nicht aus panhellenischen, sondern aus ganz egoistischen Gründen. Im Mutterland hatte sich aber inzwischen eine politische Umgruppierung vollzogen. Theben, bisher der erbittertste Gegner Athens, begann nun in der spartanischen Hegemonie die größte Gefahr zu erblicken und verbündete sich mit dem alten Erbfeind. Auch Korinth und Argos traten der Koalition bei. So kam es zum Krieg zwischen dem Peloponnesischen Bund auf der einen, Persien und Mittelgriechenland auf der anderen Seite. Man weiß nun nicht, wer perfider gehandelt hat: die Spartaner gegen die Perser, denen sie den Sieg im Peloponnesischen Kriege verdankten, die Athener gegen Sparta, das sie vor der Vernichtungswut ihrer jetzigen Alliierten, der Thebaner und Korinther, gerettet hatte, oder alle Hellenen gegen sich selber, indem sie durch den Bruderkrieg Persien zum lachenden Dritten machten. In der Tat endete der neunjährige Kampf 386 mit dem sogenannten »Königsfrieden«, in dem der Großkönig als Schiedsrichter und Garant auftrat und die kleinasiatischen Kolonien definitiv Persien zugesprochen, alle übrigen Griechenstädte aber für autonom erklärt, das heißt: zu dauernder Ohnmacht verurteilt wurden. Mit Recht hat man diese Situation mit der deutschen zur Zeit Napoleons des Ersten verglichen.


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