Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Das Grab

Das Verhältnis der Ägypter zum Tode hat Diodor mit den kurzen Worten charakterisiert: »sie halten die Zeit des Lebens für sehr kurz, die Zeit nach dem Tode aber für sehr lang«; worin sie zweifellos recht hatten. »Daher nennen sie«, fährt er fort, »die Wohnungen der Lebendigen Herbergen, die Gräber der Verstorbenen ewige Häuser. Auf jene verwenden sie daher keine erhebliche Mühe, diesen aber widmen sie eine großartige Ausstattung.« In der Tat könnte man nach der Ausdrucksweise der Ägypter vermuten, daß sie den Tod für das wahre Leben hielten: der Mensch stirbt nicht, sondern »geht zum Leben« oder »lebend zur Ruhe«, der König »vereinigt sich mit der Sonne«, das Totenreich heißt »Lebensland«, der Sarg »Lebensherr«. Es ist nicht so ohne weiteres ausgemacht, ob es sich hier immer nur um ganz gewöhnliche Euphemismen handelte. Das 224 höchste Ziel war, in Abydos, der Stadt des Osirisgrabs, bestattet zu werden. Da dies nicht für alle erreichbar war, so pflegte man die Reise nach Abydos durch eine symbolische Grabbeigabe zu ersetzen: ein hölzernes Schiffchen, das mit der aufgebahrten Mumie südwärts segelt, oder man errichtete in jener Gegend ein Scheingrab. Die Trauerbezeigungen waren die im Orient allgemein üblichen: man streute Staub aufs Haupt und schlug sich die Brust; die Frauen ließen die Haare lang herabfallen: in der Schrift bilden drei Locken, XXX, das Deutzeichen für Trauer. Bei der Beerdigung fanden in den Grabräumen religiöse Tänze und Opferschmäuse statt, an denen man sich den Toten teilnehmend dachte. An bestimmten Tagen des Jahres wurden die Totenopfer erneuert, für deren Unterhaltung testamentarische Stiftungen sorgten; oft war der Ertrag ganzer Güter hierfür bestimmt. Hauptsächlich in diesem Zusammenhang galt Kinderlosigkeit in Ägypten für das größte Unglück.

Da Osiris-Re im Westen untergeht, so lagen die Gräber immer am westlichen Wüstenrande. Das Grab heißt auch »Haus des Ka«; und in der Tat ist es ja, wie wir bereits wissen, der Ka, der nach dem Tode dem Körper die Lebenskraft bewahrt. Der Leichnam muß möglichst intakt bleiben, um dem Ka jederzeit wieder als Sitz dienen zu können. Da aber im Tode die Züge sich verändern, so müssen in den Gräbern porträtähnliche Statuen des Toten aufgestellt werden; deshalb heißt im Ägyptischen der Bildhauer: »der am Leben erhält«. Und da der Ka schließlich auch Nahrung braucht, so muß für diese ebenfalls gesorgt werden. Die Mumifizierung war ein Prozeß, der nicht nur große Geschicklichkeit und Sachkunde erforderte, sondern auch einem peinlich vorgeschriebenen Ritual unterworfen war: sie erfolgte daher durch besondere Tempelbeamte, und es gab verschiedene Preislagen, je nach der Gediegenheit der Ausführung. Die Eingeweide wurden herausgenommen und in vier Krügen aufbewahrt, deren jeder den Kopf eines der 225 vier Horussöhne als Deckel trug: diese sollten den Toten vor Hunger und Durst beschützen, als deren Sitz die Eingeweide galten. Das Herz wurde durch einen steinernen Skarabäuskäfer, das Bild des Sonnengottes, ersetzt, auf dem die Worte standen: »O Herz, das ich von meiner Mutter habe, o Herz, das zu meinem Wesen gehört! Tritt nicht gegen mich als Zeuge auf, bereite mir keinen Widerstand vor den Richtern, widersetze dich mir nicht vor dem Waagemeister!« Das Herz wurde nämlich vor dem Totenrichter gewogen, und es galt als der Ort aller Gedanken; sagte der Ägypter von jemandem: »er hat kein Herz«, so meinte er damit, er sei dumm. Die Mumie wurde mit Binden umwickelt, überall mit Amuletten behängt und in einen hölzernen, steinernen oder pappenen Sarg gelegt, der nicht selten doppelt war. Durch die Mumifizierung wurde der Tote zum Osiris. Die Zeremonien, die dabei stattfanden, waren eine Wiederholung der Zauberriten, durch die Isis dem Osiris das Leben wiedergegeben hatte. »So wahr Osiris lebt«, heißt es bereits in einem uralten Pyramidentext, »wird auch er leben; so wahr Osiris nicht gestorben ist, wird auch er nicht sterben; so wahr Osiris nicht vernichtet ist, wird auch er nicht vernichtet werden.« Deshalb sagten Ägypter, wenn sie zum Beispiel von einem Verstorbenen sprachen, der Ipi geheißen hatte: »Osiris Ipi«, wie wir »der selige Müller«.

Die Grabbeigaben sind von der interessantesten Mannigfaltigkeit. Da finden sich zunächst wirkliche Speisen und Getränke in großer Menge, aber auch nachgebildete: Gänsebraten aus Alabaster, Tische aus Kartonage mit einem ganzen Menü aus bemaltem Ton, Weinkrüge und Milchnäpfe, die aber nicht gehöhlt sind, was offenbar bedeuten soll, sie mögen immer voll bleiben; ferner Waffen und Gewänder, allem Anschein nach aus dem Besitz des Verstorbenen, da sie Abnützungsspuren zeigen, leere Papyrusrollen, Reserveperücken, Toilettenecessaires, Musikinstrumente, Brettspiele, das Holzmodell eines 226 Umhängebarts, ja sogar ein nacktes Weib auf einem Bett und ein Buch mit obszönen Texten und Bildern. Dann gibt es da kleine Nachbildungen aller erdenklichen Dinge, die das himmlischste Kinderspielzeug abgeben würden: ganze Kompanien Bogenschützen und Schwerbewaffnete; Wäscher, Tänzerinnen, Müllerinnen, Opferträger; Lustbarken und bemannte Segelschiffe; komplette Küchen und Backstuben; Töpfereien, Brauereien, Möbelwerkstätten in voller Tätigkeit; Musikkapellen, Viehhöfe, Weinberge; aus dem Mittleren Reich reizende grüne Fayencenilpferde als Jagdtiere. Einem besonderen Zweck dienten die Holzpuppen, die man uschebti, Antworter, nannte; der Ägypter dachte sich auch das Jenseits als Ackerland, und um dort nicht arbeiten zu müssen, nahm er sich jene Figuren mit ins Grab, damit sie, wenn er dazu aufgerufen würde, für ihn antworten sollten. Die Inschrift lautete: »O du Uschebti! Wenn ich mit Namen gerufen werde und wenn ich abgezählt werde, um allerhand Arbeiten zu verrichten, die in der Unterwelt verrichtet werden, so sage du dann: hier bin ich.« Indes besteht immer noch die Möglichkeit, daß ein böser Mensch dem Toten seine Diener abspenstig machen könnte, wie das ja auch im Leben bisweilen vorkommt. Daher tragen manche Uschebti den Zusatz: »Gehorche nur dem, der dich machte, gehorche nicht seinem Feinde.« Wie man sieht, waren die Ägypter ganz und gar nicht der Ansicht, daß der Tod alle gleich mache. Die Minderbemittelten mußten sich denn auch mit einem viel geringeren Grabkomfort behelfen; für sie genügte es, wenn ein Gebet um »Brot, Bier, Gänsebraten, Kleider und alle guten Sachen, von denen die Götter leben« an die Grabwand geschrieben und das nötige Mobiliar auf die Innenseite des Sarges gemalt war. Noch viel summarischer verfuhr man mit den ganz Armen: Sie wurden in ein Natronbad gelegt und dann, in Tücher gehüllt, im Wüstensand verscharrt. Nicht selten aber gelang es ihren Hinterbliebenen, sich ein verwahrlostes Grab 227 anzueignen, denn wenn die Familie ausgestorben war, kümmerte sich kein Mensch mehr um die Totenstätte; und manche verfielen auf einen rührenden Ausweg: sie verfertigten eine kleine Mumie aus Holz, beschrieben sie mit dem Namen des Verstorbenen und begruben sie am Eingang eines reichen Grabes; so konnte der Verstorbene an allen Vorteilen des Glücklichen teilnehmen.


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