Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der Priesterkodex

Der Priesterkodex schließt und krönt die Entwicklung zur starren Gesetzesreligion. Er ist das Werk einer ganzen Schule, und daß er inmitten der heidnischen Gegenwelt Babyloniens entstand, ist kein Zufall. Daß Esra geradezu der Verfasser war, glaubt man heute nicht mehr; aber an der Redaktion war er jedenfalls hervorragend beteiligt. Das Material, das verarbeitet 490 wurde, spiegelt die Entwicklung mehrerer Jahrhunderte, und es ist keineswegs gelungen, das eingelebte Ritual und Glaubensbild früherer Stufen völlig auszumerzen. Die Darstellung ist dürr und nüchtern, logisch und sachlich, liebt einhämmernde Wiederholungen, stehende Floskeln, hieratische Gesten, genealogische, geographische, chronologische Daten, die eine Art »wissenschaftliche« Zuverlässigkeit vortäuschen sollen, und benützt, in scharfem Gegensatz zu der naiven Erzählerfreude des Jahwisten und Elohisten, das Historische nur als dünnen Rahmen für das Gesetzliche, das Ausgangspunkt, Mittelpunkt und Zielpunkt ist. Die Zentralisation des Kultus in Jerusalem, die das Deuteronomium fordert, setzt der Priesterkodex bereits als so selbstverständlich voraus, daß er den salomonischen Tempel als tragbare Stiftshütte in die Zeit der Wüstenwanderung zurückdatiert; daß der Gottesdienst von jeher bildlos und in den Händen der legitimen Priester vom Stamme Levi war, steht für P ebenfalls außer Streit. Auch der extreme Ritualismus, der erst nachexilisch ist, wird natürlich von P für eine Stiftung Moses ausgegeben, wobei sich die weltgeschichtliche Ironie ereignet hat, daß das Judentum gerade durch all dies, wodurch es sich vom Heidentum aufs peinlichste abzusondern suchte: die Unterscheidungen von materieller Reinheit und Unreinheit, die blutigen Opfer zur Weihe und Sühne, die Libationen und Lustrationen, die Speiseverbote, die nicht hygienische, sondern magische Bedeutung haben, eine halbheidnische Religion geblieben ist. Aber wenn die Erzählung zur Zeit der Richter gelangt, gibt es auf einmal keine Hohenpriester, Priester und Leviten, keinen zentralisierten Kultus und orthodoxen Ritus mehr; auch später noch nicht. Da kann also nur Abfall im Spiele gewesen sein. Um dies glaubhaft zu gestalten, stellt der Priesterkodex die Geschichte Israels buchstäblich auf den Kopf: er macht den Schlußstein zum Grundstein, den Endzustand zum Urzustand, aus mosaisch levitisch, indem er seine 491 eigene Glaubensform in die altisraelitische einträgt, und aus levitisch mosaisch, indem er sein Statut aus den Händen Moses hervorgehen läßt.


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