Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Ramses der Große

Nachdem Ramses seinem Lande endlich den Frieden gegeben hatte, genoß er ihn mit vollen Zügen und wurde ein großer Bauherr, vielleicht der größte unter den Pharaonen; und das will viel sagen. Er gründete sich eine neue Residenz, die, nach der allgemeinen Meinung der Zeitgenossen, ein wahres Wunder an Schönheit und Kostbarkeit war, und nannte sie, da sie zur Festung ausgebaut war, »das sehr feste Haus des Ramses«. Sie war außerdem Handels- und Kriegshafen. Ihre Lage im äußersten Nordosten, zwischen dem Delta und der Landenge 376 von Suez, hatte natürlich politische Gründe. Aus dem fetten Boden erstand eine Landschaft von paradiesischer Fruchtbarkeit: weithin erstreckten sich die üppigen Kornfelder und Gemüsebeete, Weingärten und Palmenhaine, durchschnitten von zahllosen Kanälen und Teichen voller Fische und Wasservögel; »die Kleinen«, hieß es, »leben dort wie anderswo die Großen«. Bei den Bauten, die in ägyptischem Eiltempo aus der Erde gestampft wurden, wurde die Bevölkerung zu Fronarbeiten herangezogen; der Pharao, der im zweiten Buch Mose die Kinder Israel mit Diensten bedrückt, ist Ramses der Zweite.

In Theben verwendete der König ungeheure Mengen an Material und Arbeitskraft auf die Vollendung des Totentempels für seinen Vater und den Bau des Heiligtums, das für seinen eigenen Totenkult bestimmt war, das Ramesseum. Die größte Bewunderung der Nachwelt haben zu allen Zeiten die Kolossalstatuen erregt, die fast durchwegs aus einem einzigen Block gearbeitet sind; eine von ihnen war 27 Meter hoch und wog fast eine Million Kilogramm. Die Werke, die unter ihm entstanden sind, bekunden aber nicht mehr den sicheren Geschmack früherer Zeiten, vielmehr einen fatalen Willen zu großsprecherischer Massenwirkung und einer unfeinen Selbstverherrlichung, wie sie seine Vorfahren nicht gekannt hatten: Ganze Wälder von Steinriesen wiederholen bis zum Überdruß die Züge des Bauherrn und von allen Säulen grüßt aufdringlich sein Namenszug. Seine gigantischste Schöpfung ist der zweiteilige Felsentempel von Abusimbel, am Westufer des Nils in Unternubien, der sechzig Meter tief in den Felsen hineingehauen ist: ein ebenso grandioses wie sinnloses Gebilde, geboren aus der Sucht nach Sensationellem und à tout prix Neuem und der renommistischen Lust an ungeheuern technischen Schwierigkeiten, deren Überwindung Selbstzweck ist. Die Absurdität des ganzen Baugedankens zeigt sich allein schon an der Verwendung von acht Pfeilern, die, da sie ja nichts zu stützen haben, 377 künstlerisch völlig unbegründet sind, und, wie alles andere, nichts darstellen als ein lärmendes Monsterornament. Daß man sie gänzlich überflüssigerweise stehenließ, läßt die dreifache Erklärung zu, die man überhaupt an alle ägyptische Kunst anlegen kann: entweder ist es »Raumscheu« oder Konservativismus oder vielleicht hat Worringer doch recht, wenn er gelegentlich von »Amerikanismus« spricht. Gleich am Eingang sitzen vier zwanzig Meter hohe Königsbildnisse, und an jeden Pfeiler ist wieder ein zehn Meter hoher Ramses postiert. Manchmal, zum Beispiel in Luksor, standen vor den Statuen, deren Wirkung zerstörend, noch obendrein Obelisken; stärker als alle künstlerischen Erwägungen war eben auch da der marktschreierische Hang, alles zweimal und zehnmal zu sagen. Hier spürt man wirklich etwas wie Reklame und Rekord. An sich sind die meisten Werke noch immer prachtvoll gekonnt: so befindet sich zum Beispiel in Abusimbel ein Kalksteinrelief, den Kampf des Königs mit einem Libyer darstellend, das Champollion als das Meisterstück der ägyptischen Kunst bezeichnete und von dem der große französische Ägyptologe Gaston Maspero erklärte, niemals wieder sei das Motiv gleich richtig analysiert und mit gleicher Kraft gestaltet worden.

Die Ägypter haben während ihrer ganzen späteren Geschichte in Ramses dem Zweiten das Idealbild eines großen Königs erblickt: mit ihm verglichen zu werden, war das höchste Lob, und zehn von den elf Herrschern der zwanzigsten Dynastie haben sich seinen Namen beigelegt. Und doch war unter ihm Ägypten bedeutend kleiner als unter der achtzehnten Dynastie, sowohl an Umfang wie an Ansehen. Von Bauten und Bildwerken hat er an Zahl wahrscheinlich die meisten errichtet; aber das Alte Reich hat gewaltigere, das Mittlere Reich tiefere Kunstschöpfungen hervorgebracht. Die Geschichte ist oft launisch in der Verteilung ihrer Prädikate: So hat sie zum Beispiel Mithridates dem Sechsten den Titel des Großen zuerkannt, den 378 sie Napoleon dem Ersten verweigerte, und wenn es in Rußland eine große Katharina gegeben hat, so hätte es in England mit mindestens derselben Berechtigung eine große Elisabeth geben müssen. »In der Tradition, im populären Urteil«, sagt Burckhardt in seinen »Weltgeschichtlichen Betrachtungen«, »richtet sich der Begriff der Größe nicht ausschließlich nach dem gehabten Verdienst um das erhöhte Gedeihen des Ganzen, auch nicht nach genauer Messung der Fähigkeit, ja nicht einmal der historischen Wichtigkeit, sondern das Entscheidende ist am Ende doch die Persönlichkeit, deren Bild sich magisch weiterverbreitet.« Und eine solche Persönlichkeit, in der sich die ganze Großartigkeit des ägyptischen Prachtsinns mit einer staunenswerten Vitalität vermählte, muß Ramses der Zweite eben doch gewesen sein.


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