Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Theognis

Noch schuf Hipponax aus Ephesos den originellen Choliambus oder Hinkiambus, der aus fünf Jamben und einem Trochäus besteht, ein geradezu diabolisches Versmaß (von Wilhelm Schlegel folgendermaßen wiedergegeben: »Der 720 Choliambus scheint ein Vers für Kunstrichter – die immerfort voll Naseweisheit mitsprechen – und eins nur wissen sollten: daß sie nichts wissen.«); aber dann beginnt das Mutterland die musische Führung zu übernehmen. Um 500 dichtete der adelige Dorer Theognis, der aus seiner Vaterstadt Megara durch die Revolution vertrieben wurde und nun auf die »Elenden«, die jetzt die »Edeln« sind, die Donnerkeile seines Zorns schleuderte. Endlich erzwangen die Aristokraten die Rückkehr, aber das Unglück hatte ihn geläutert und milder gestimmt und seine letzte resignierte Weisheit lautete: »Auch nicht einem gelingt sein Vorsatz, wie er begehrte, denn wie es ihnen gefällt, fügen die Götter den Schluß.« Wir besitzen von ihm eine lange Gnomologie, eine Blütenlese von Sprüchen, die aus seinen Elegien herausgelöst sind, aber darum kein rechtes Bild seiner Eigenart bieten, auch mit Versen anderer Dichter vermischt sind. Theognis ist Altaristokrat vom Kopf bis zur Sohle, seine Moral Standesmoral, seine Spruchsammlung ein Adelsbrevier. Als echter Dorer hat er nur Sinn für Knabenliebe: seine Lehren sind an seinen Liebling Kyrnos gerichtet. Er ist der erste, der die finstere Weisheit verkündet hat: niemals geboren zu sein, wäre das Beste; sei aber einer einmal geboren, so möge er so schnell wie möglich die Tore der Unterwelt entriegeln, um dort zu liegen, die Erde über sich getürmt.


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