Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Erstes Kapitel

Das Geheimnis Ägyptens

Ich schreite kaum – doch wähn ich mich schon weit.
›Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit.‹
Parsifal    

Das anonyme Volk

Renan nennt Ägypten »ein Leuchtfeuer in dem umnachteten Meere der Urzeit«. Und in der Tat: nur von hier blickt uns aus der vorgriechischen Welt ein Antlitz entgegen, uns fremd und doch ähnlich, ein Bild nur und seltsam umflort, aber dennoch ein Bild. Allein auch jener antike Autor hat recht, der wehmütig prophezeite: »O Ägypten, Ägypten, von deinem Glauben werden nur Fabeln übrigbleiben, den späteren Geschlechtern unglaublich, und nur Worte auf den Steinen!«

Und, müssen wir hinzufügen, selbst die Worte nur in Fabelform. Was Schiller in seinen allbekannten Versen am Ruhme preist, hat sich an den Ägyptern nicht erfüllt, vielmehr das gerade Gegenteil: der Leib ist nicht zu Staub zerfallen, der »große Name« dagegen lebt nicht mehr. Denn, höchst sonderbar, wir kennen von keinem einzigen Ägypter den Namen! Oder vielmehr: sie sind alle vielnamig wie ihre Götter. So hieß zum Beispiel die derzeit sehr populäre Königin Hatschepsut noch vor fünfzig Jahren Hatasu; aber auch ihr heutiges Kennwort wird ihr nicht bleiben. Von all den Königen und Kanzlern, Prinzen und Priestern, die uns Denkmäler hinterlassen haben, wissen wir nur eines mit voller Bestimmtheit: daß sie nicht so geheißen haben, wie wir sie nennen. Dies ist übrigens keine ägyptische Spezialität. Eigennamen werden immer nur in ihrem Geburtslande richtig ausgesprochen, von anderen Völkern 115 grundsätzlich falsch. Und das ist ganz natürlich, denn jede Sprache ist eine einmalige Melodie in der großen Symphonie der Menschheitsgeschichte; ist sie einmal verklungen, so gibt es leider kein Münchhausensches Posthorn, worin sie aufbewahrt werden kann. Es ist auch jede Transskription eines fremdsprachigen Worts unrichtig oder doch höchstens annähernd richtig, weil entweder dieselben Buchstaben beidemal andere Laute bezeichnen oder die entsprechenden Lautzeichen überhaupt fehlen. So können wir zum Beispiel den französischen Vornamen George nur »Schorsch« schreiben, was vollkommen falsch ist. Umgekehrt kommt es uns nicht zum Bewußtsein, daß unser ch in »Rache« und »Rechen« durchaus nicht dasselbe, sondern das eine Mal ein Kehllaut, das andre Mal ein Gaumenlaut und beidemal im Französischen nicht vorhanden ist, ebensowenig wie das g in »singen«, das wiederum mit dem g in »siegen« nicht identisch ist.

Beim Ägyptischen tritt aber noch eine besondere Erschwerung hinzu. Die Ägypter haben bekanntlich, ebenso wie die Hebräer, die Araber und die meisten anderen Orientalen, nur die Konsonanten geschrieben und die Vokale ausgelassen. Daher kommt es, daß wir nicht einmal eindeutig wissen, wie der Name des Propheten ausgesprochen wurde. Hieß er Mohammed, Muhammed, Muhammad, Mahomet? Oder Mehemet, Mehmed, wie die nach ihm benannten türkischen Sultane? Und auf welcher Silbe lag der Akzent? Früher setzte man ihn allgemein auf die erste Silbe, neuerdings betont man aber die mittlere und bei den Sultanen bevorzugt man die letzte.

Die uns geläufige biblische Transskription der orientalischen Eigennamen ist ganz besonders falsch. So konnte es geschehen, daß Namen bei uns weltberühmt wurden, die nur eine schwache Andeutung ihrer tatsächlichen Form geben. Nebukadnezar zum Beispiel hieß babylonisch Nabu-kudurri-ussur; doch hat er diese Verballhornung, die schon fast einem Pseudonym 116 gleichkommt, angesichts der miserablen Rolle, die ihm das Alte Testament zugewiesen hat, kaum zu beklagen. Fast alle übrigen Namen sind in ähnlicher Weise verstümmelt; aber da sie auch von Luther in seine Bibelübersetzung übernommen wurden und dadurch heute als feste Begriffe eingebürgert sind, wäre es reine Schikane oder gelehrte Affektion, sie richtigstellen zu wollen.


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