Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Epaminondas

Natürlich war auch der Königsfriede kein wirklicher Friede, sondern die Rivalitätskämpfe gingen weiter. In diesem Auf und Ab der wechselnden Föderationen und Konventionen, Siege und Niederlagen bildet die Schlacht bei Leuktra, 371, einen Markstein, in der die Thebaner den Nimbus der spartanischen Unüberwindlichkeit für immer zerstörten. Dies war die 899 Genietat des Epaminondas, des Erfinders der »schiefen Schlachtordnung«. Bisher nämlich lag die Sache so, daß der rechte Flügel der Hoplitenphalanx immer der aggressive und stärkere war, weil die Speere unwillkürlich nach rechts zogen. Infolgedessen lag der Sieg immer an ihm: gelang es ihm, den gegenüberstehenden linken Flügel der feindlichen Armee zu werfen, so rollte sich deren Front von selbst auf und die Schlacht war entschieden. Epaminondas kam nun auf den ebenso einfachen wie großartigen Gedanken, den linken Flügel zum stärkeren zu machen, indem er ihn nach Art eines Keils vertiefte. Hierdurch war er aber gezwungen, den rechten zu verkürzen und der Gefahr der Überflügelung auszusetzen. Darum deckte er dessen Flanke durch Kavallerie: nun konnte der linke Flügel mit voller Stoßkraft vorbrechen, »wie eine Triere, die ihre Gegnerin rammt« (nach einem treffenden Vergleich Xenophons). Die Bezeichnung »schiefe Schlachtordnung« ist etwas irreführend, denn schief war auch die bisherige, indem der rechte Flügel sich immer vorschob; die des Epaminondas war allerdings infolge der ungleichen Tiefe der Staffelung noch schiefer, aber das Entscheidende war, daß die Schwerpunkte vertauscht waren: Man nannte sie daher mit Vorliebe auch die »umgekehrte Schlachtordnung«. Man sollte nun meinen, daß der Erfolg dieser geistvollen Idee auf das Moment der Überraschung gegründet sei und daher nur einmal gelingen könne; aber neun Jahre später wiederholte sich dasselbe bei Mantineia. Lag dies an dem denkträgen Konservativismus der Spartaner? Oder an ihrer Unfähigkeit, den kavalleristischen Anforderungen zu genügen, die diese neue Taktik stellte, während die Boiotier von jeher ein Reitervolk waren? Oder war, was am wahrscheinlichsten ist, Epaminondas nicht der Sklave seines Systems, sondern befähigt, wirksam zu variieren, so daß das Moment der Überraschung immer auf seiner Seite war? Denn das Wesentliche an seiner Aufstellung war ja gar nicht das »Umgekehrte«, 900 sondern eben doch das in einem neuen und höheren Sinne »Schiefe«, nämlich die Konzentrierung des Vernichtungsstoßes auf einen Punkt, während bisher Angriff auf der ganzen Front die selbstverständliche Regel war. Es war, mit einem Wort, die epochemachende Wendung von der Parallelschlacht zur Flügelschlacht: der Offensivflügel stößt mit vernichtender Übermacht vor, der Defensivflügel hält sich zunächst geflissentlich zurück, um erst später nachzustoßen und durch Umfassung den Sieg zu vollenden. Es ist klar, daß die bisherige Kriegführung keine Flügelschlacht im eigentlichen Sinne des Wortes ermöglichte: denn wenn auch der linke Flügel regelmäßig in der Defensive blieb, so tat er dies nicht aus freier Wahl, sondern zwangsläufig und mechanisch, gleichsam einem Gesetze der Gravitation gehorchend; und es ist ebenso klar, daß bei der »schiefen Schlachtordnung« durchaus nicht immer der linke Flügel der offensive zu sein braucht, sondern der Angriffsstoß kann an jeder beliebigen Stelle erfolgen: er muß nur überraschend und überwältigend sein; diesen archimedischen Punkt zu finden, ist eben Sache des Feldherrngenies, das in einer Mischung aus hellem Blitzdenken und nachtwandlerischer Intuition besteht. Der »refüsierende« Flügel, der sich der Fühlung zunächst entzieht, spielt dabei die Rolle der Reserve, als deren Entdecker Epaminondas tatsächlich angesehen werden muß. Reserve, Flügeloperation, Umkehrung, Umfassung: Das sind lauter Ideen, und nun wundern wir uns nicht mehr, wenn wir hören, daß dieser Zeitgenosse Platos sich ursprünglich gar nicht für Politik und Strategie interessierte, sondern für Kunst und Philosophie. Auch die Feldherrnkunst ist eine Welt des Gedankens. Alle Taten des Geistes sind Philosophie.

Nach der Katastrophe von Leuktra rückte Epaminondas in Lakonien ein, das, ähnlich wie England, seit Menschengedenken keinen Feind im Lande gesehen hatte. Aber als Verteidiger waren die Spartaner noch immer unüberwindlich, und obgleich 901 die Stadt nicht ummauert war, vermochte Epaminondas sie nicht zu nehmen. Er zog nun nach Messenien und befreite die Heloten, die fortan, mit einer befestigten Hauptstadt am Fuße des Berges Ithome, einen selbständigen Staat bildeten. Das war der furchtbarste Schlag, der Sparta treffen konnte: Seine Hegemonie brach damit vollständig zusammen. Nun faßte Epaminondas weitausschauende Pläne, um die thebanische Vorherrschaft über Hellas aufzurichten. Die einzige bedeutende Rivalin war Athen, das sich inzwischen wieder erholt und einen neuen Seebund gegründet hatte. Da die Boiotier einem maritimen Kampf nicht gewachsen waren, knüpfte Epaminondas Verbindungen mit Persien. Aber schon 362 fand er den Tod in der Schlacht von Mantineia, und damit sank Theben in die frühere zweite Rolle zurück. Das Ganze war die Episode eines knappen Jahrzehnts gewesen, die mit einem genialen Protagonisten stand und fiel. Als Politiker war Epaminondas nicht besser und nicht schlechter als seine athenischen und spartanischen Vorgänger: Er fühlte so wenig panhellenisch wie sie, wenn auch die spätere Romantik ihn als »Befreier« verklärt hat, sondern kannte nichts Höheres als die Diktatur seiner Polis. Die Denkform und Lebensform des Hellenen war der Agon, das Niederringen und »Voranleuchten«; Gleichheit und Einheit sind ungriechische Begriffe: Der Augenblick, in dem sie Weltgeltung erlangen, bezeichnet das Ende der griechischen Geschichte. Dieser Ausgang war nicht mehr fern. Die beiden einzigen Mächte von ernsthafter Bedeutung, Sizilien und Sparta, lagen ohnmächtig am Boden. So bereitet sich im Osten und im Westen die Auflösung vor.


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