Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Alkaios und Sappho

In Ionien um 600 entstand auch das Melos. Man versteht darunter das kunstvoll gebaute Lied in Strophenform, die die Elegie und die Jambographie noch nicht kennt; Hand in Hand damit ging sicher auch eine reichere Instrumentierung und kompliziertere Melodik. Alkaios schuf die Ode, die aus vierzeiligen alkäischen Strophen besteht. Als er ein Gedicht an Sappho richtete, verwendete er das sapphische Versmaß, diese antwortete im alkäischen: eine Courtoisie, die an die Sitte der Potentaten erinnert, bei Besuchen die Landesuniformen zu tauschen. Alkaios stammte aus Mytilene auf Lesbos, aus einem alten Geschlecht. In den inneren Kämpfen, die auch dieser Insel nicht erspart blieben, stellte er sich mit Leidenschaft auf die Seite des Adels. Pittakos, den Solon von Lesbos, apostrophierte er als »plattfüßigen Dickwanst« und »großmäuligen Schleicher«, aber dieser war einer der sieben Weisen und verzieh ihm, und später findet man beide gemeinsam auf Münzen abgebildet. Als Charakter war Alkaios offenbar der Typus des temperamentvollen Junkers: Sport und Trunk, Parteikampf und Klubleben waren seine Hauptthemen, besonders die Freuden des Weins umglänzt sein Lied mit reichem Farbenspiel.

In einer seiner Oden bewarb Alkaios sich um die Liebe der Sappho: »Dunkellockige reine süßlächelnde Sappho, ich 718 möchte Dir gern etwas sagen, doch hält die Scheu mich zurück.« Sie erwiderte: »Wenn Du die Tugend liebtest und edeln Sinn und nichts Arges lauerte im verhaltenen Wort, so senkte nicht Scham Dir das Auge«: einer der zartesten Körbe, die wohl jemals erteilt wurden. Sapphos Herz gehörte ihren Geschlechtsgenossinnen. Aber ihre Liebespoesie ist von einer Gefühlstiefe, die wir bei den Sängern der Knabenliebe vergeblich suchen. Die erste Dichterin der Weltliteratur ist zugleich ihre größte. An Kunst der Metrik übertrafen ihre Verse noch die alkäischen und an Schmelz und Stimmungszauber sind sie erst von der Lyrik der späten Neuzeit erreicht worden. Ihre hemmungslose Leidenschaftlichkeit und ihr rückhaltloser Freimut hinwiederum verleihen ihrer Kunst einen männlichen Zug. Dem Sturmwind, der in die Eichen fällt, einer bittersüßen unbezwinglichen Schlange vergleicht sie die Macht des Eros. Das spätere Altertum erfand die Legende, Sappho habe sich aus unglücklicher Liebe zu dem schönen Jüngling Phaon vom leukadischen Felsen gestürzt; daraus hat dann Grillparzer eine Wiener Vorstadttragödie gemacht: die Neigung einer Operndiva zu einem jungen Menschen, der aber das »süße Mädel« Melitta vorzieht. Im übrigen läßt sich bei der Frau Sinnliches und Seelisches noch weniger trennen als beim Mann. Ovid behauptete, es gebe nichts Sinnlicheres als Sapphos Poesie, und empfahl sie den römischen jungen Damen aufs angelegentlichste; er war noch in der glücklichen Lage, die Werke der Dichterin fast vollständig lesen zu können, trotzdem ist er für die Subtilitäten der sapphischen Erotik wohl kaum ein kompetenter Beurteiler. Die Alten verglichen Sappho gern mit Sokrates, und ähnlich, nur ins Weibliche transponiert, wie dessen Verhältnis zu seinen Jüngern werden wir uns wohl auch die Beziehung Sapphos zu ihren Schülerinnen zu denken haben: Eros, entzündet am Anblick körperlicher Schönheit, aber verklärt zur höchsten Geistigkeit, wie es nur ein Dichter, und zur tiefsten Empfindung, 719 wie es nur eine Frau vermag. Nähere Erörterungen über die Frage sind ebenso läppisch und plebejisch wie die zahllosen Untersuchungen über Goethes Friederike und die anderen Dichterflammen. Das einzige, was an diesen Dingen für die Nachwelt interessant ist, ist die Gefühlswelt des Dichters, die im Falle Goethes und Sapphos beidemal der Frau zugekehrt war; alles andere ist Privatangelegenheit, wobei zu bemerken wäre, daß die sogenannten Ehrenrettungen (worunter die Professoren den Nachweis platonischer Beziehungen zu verstehen pflegen) eine ebenso plumpe und platte Indiskretion sind wie die Skandalgeschichten. Es wäre ein noch unausgeschöpftes Thema für fleißige Literaturhistoriker, einmal genau festzustellen, wie berühmt man sein muß, um Zudringlichkeiten ausgesetzt zu sein, die bei jedem gewöhnlichen Sterblichen von den Gesetzen des Staats nicht minder verpönt sind als von den Gesetzen des guten Geschmacks.


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