Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die Religionspsychologen

Man hat versucht, alle diese Erscheinungen durch die bekannten Begriffe des tabu und totem zu erklären. Tabu ist ein polynesisches Wort, das man vielleicht am ehesten mit »Achtung!« übersetzen könnte, wobei man an die doppelte Bedeutung: Warnung und Respekt, denken muß. Denn tabu ist alles, was entweder Ehrfurcht oder Abscheu einflößt, oder vielmehr: im Tabu fließen diese beiden Empfindungen ineinander. Tabu ist vor allem der Totem, das Tier, das als Stammvater und Schutzgeist der Sippe gilt, und der machtbegabte Gegenstand oder Fetisch, wie man ihn mit einem portugiesischen Wort bezeichnet. Vor dem Forum des modernen Fortschrittsdünkels, der nur noch die Maschine als Fetisch und das Goldene Kalb als Totem anerkennt, ist all dies roher Animismus, kindische Angst vor dem Unbekannten oder Priesterschwindel. Von besonderer Albernheit in Spencers Erklärung des Totemismus durch mißverstandene Spitznamen der Vorfahren. In jüngster Zeit ist die Aufhellung dieser Fragen auch von der Psychoanalyse versucht worden, die aber, obschon in tiefergelegene Stollen des Seelenlebens vordringend, infolge ihres Atheismus dazu ebenfalls völlig 176 unfähig ist; scheinbar vermag sie allerdings jedes psychologische Problem einwandfrei zu lösen, da infolge ihrer Methode von jedem seelischen Tatbestand, den sie konstatiert, immer auch gleichzeitig das Gegenteil ausgesagt werden kann, indem es sich dann einfach um Inversion, Verdrängung, Ambivalenz, Sublimierung handelt, wodurch ihre Ergebnisse schlechterdings unangreifbar werden, sich andrerseits aber auch gegenseitig neutralisieren.

Alle »natürlichen« Erklärungen dieser Phänomene, die seit den Enzyklopädisten mit steigender Selbstgefälligkeit und Borniertheit vorgebracht worden sind, sind nichts als Produkte jenes eigentümlich scharfsinnigen Schwachsinns, den man »wissenschaftliche Weltanschauung« nennt, der modernen Irreligiosität, die sich an unverstandene Religionsformen heranwagt, unwissend, was ein Symbol ist und daß alles ein Symbol ist. Niemals hat der Gläubige, als er Stein und Schlange, Busch und Bild anbetete, gemeint, dies sei Gott: er erblickte nur durch diese Zeichen und hinter ihnen das geheimnisvolle Weben seiner Gottheit. Der »Abergläubische« nimmt nicht, wie die »Religionspsychologen« mit überlegenem Lächeln feststellen, das Sinnbild für eine Realität, sondern gerade umgekehrt alle Realität für ein Sinnbild. Sind denn nicht auch die Ursymbole des Christentums das Lamm und der Fisch? Aber daß jemals, selbst auf den Fidschiinseln, ein Mensch einen Fisch für einen Gott gehalten hat, können nur Menschen glauben, die vor lauter Vergleichen von »Analogien« ganz vergessen haben, was denn eigentlich verglichen werden soll.


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