Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der Tempel

Einen ebenso rapiden Entwicklungsgang wie die Plastik nahm die Architektur. Vor 600 dürfte es noch keine größeren Steinbauten gegeben haben. Der Tempel, der der kretisch-mykenischen Kultur noch unbekannt war, hat sich aus der Hauskapelle entwickelt, die sich an den Palast anschloß. Allmählich schritt man dazu, der Gottheit ein eigenes Haus zu bauen, das sich von den menschlichen zunächst kaum unterschieden haben dürfte: ein viereckiges Megaron mit einem Säulenvorhof, aus Holz oder Fachwerk errichtet. Der älteste griechische Tempel, den man kennt, das Heraion zu Olympia, war noch ein solcher Bau aus Holzrahmen und Lehmziegeln. Doch versuchte man schon früh, den Anblick durch Kalkbewurf und bemalte Tonplatten zu verschönern. Aber auch der Steinbau vermag seine Herkunft von der Holzarchitektur nicht zu verleugnen: die Säulen und Deckenbalken ahmen Baumstämme nach, die Kapitelle Schnitzerei.

Der Opferaltar befand sich stets im Freien vor dem Tempel; dieser selbst war nichts als die Wohnung für das Götterbild. Danach ordnete sich seine ganze Anlage, die von der der christlichen Kirchen erheblich abwich. Da er nicht dazu bestimmt 710 war, die betende Menge zu fassen, brauchte er nicht besonders groß zu sein. Den Kern des Gebäudes bildete immer der Naos, der dem Hauptraum des griechischen Hauses entspricht. Dazu trat noch, bei der klassischen Form des Tempels, ein kompletter Säulenumgang, der Peripteros, oder auch nur ein säulengetragener Vorbau an einer oder an beiden Schmalseiten, der Prostylos oder Amphiprostylos. Kompliziertere Anlagen kommen kaum vor.

Der dorische Stil reift während des sechsten Jahrhunderts. Basislose, durch Kannelüren schattierte Säulen, an ihrem oberen Ende durch bunte Ringe gegliedert und von einem feinprofilierten Wulst, dem Echinos, und einer viereckigen Platte, dem Abakos, gekrönt, tragen den Hauptbalken, das Epistylion; darüber erhebt sich der Fries, in dem die pfeilerartigen Triglyphen oder Dreischlitze mit den reliefgeschmückten Metopen oder Zwischenräumen abwechseln; den Beschluß macht der Giebel mit dem weitausladenden Geison oder Kranzgesims, dem Tympanon oder Giebelfeld, in dem die großen plastischen Kompositionen untergebracht sind, und der reichornamentierten Sima oder Traufrinne: sogar diese ist ein Kunstwerk. »Tropfenleisten« unterhalb der Triglyphen, »Tropfenplatten« an der Unterseite des Geisons und Akroterien oder Firstziegel an der Spitze und Basis der Giebeldreiecke vollendeten das Bild, das überaus farbenprächtig war. Es waren nicht nur die Triglyphen, Tropfenleisten und Tropfenplatten purpurviolett, die Streifen zwischen Epistylion und Fries, Fries und Geison ziegelrot lackiert und die Tropfen vergoldet, sondern auch die zahlreichen Mäander und Palmetten sehr bunt gehalten und alle Skulpturen leuchtend koloriert. Die Bemalung ist, da sie gliedert, ein struktives Element, so gut wie die Form und Anordnung der Bauteile, und von der griechischen Architektur gar nicht zu trennen; und schon aus diesem Grunde hätte ein Hellene sich von unseren langweiligen weißen 711 Repräsentationsgebäuden, die »klassisch« sein wollen, mit Schauder abgewendet. Daß die Farbe kein bloß »pittoreskes« Element ist, sieht man an jeder Landkarte und ähnlichen wissenschaftlichen Hilfsmitteln (zum Beispiel der vorzüglichen »Regenbogenbibel«, die die Textschichten des Alten Testaments in den Tönen des Spektrums wiedergibt). Leider verfügen oft die besten Kartenzeichner über keinen ausgebildeten Farbensinn, der sie die Kolorierung so wählen ließe, daß das Auge weder beleidigt noch, was schlimmer ist, verwirrt wird, indem sie nicht beachten, daß stimmungsverwandte Farben, wie zum Beispiel Orange und Zinnober oder Violett und Ultramarin, für das Auge keine genügenden Kontraste bilden.


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