Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die Antibanausie

Mit dem ewigen Sportbetriebe hängt noch ein zweiter Wesenszug der Hellenen zusammen: die Antibanausie. Der griechische Begriff des Banausen ist nicht ganz leicht zu umschreiben. Sein Gegensatz ist weder der Kopfarbeiter (denn unsere Gelehrten mit ihren Laboratorien und Archiven hätten für Banausen gegolten) noch der sogenannte »freie Beruf« (denn auch die meisten Künstler galten dafür), sondern als banausisch ist alles verrufen, was Zweck hat, was für Geld geschieht, was man machen muß, was deformiert, was übermäßig anstrengt. Selbstverständlich gilt also zunächst jeder Lohnarbeiter, ob Bauer oder Handwerker, als Banause. Treitschke sagt in seiner »Politik« in einem anderen Zusammenhange, nämlich über die aristokratischen Südstaaten der nordamerikanischen Union: »Wo der größere Teil unfrei ist, da wird die Arbeit überhaupt entwürdigend; auch der freie Arbeiter erscheint dann als ein Mensch, der auf Achtung keinen Anspruch hat.« Aber andrerseits sagt Perikles in seiner Leichenrede: »Nicht, arm zu sein, gilt bei uns als schimpflich, sondern sich nicht durch eigene Arbeit emporzuarbeiten«, und wir haben gehört, wie hoch bereits Hesiod die ehrliche Arbeit der Hände wertete. Auch Herakles, der griechische Nationalheros, führte ein Leben voll Mühe und Anstrengung. Daß die Griechen ein Volk des süßen Müßigganges waren, ist eine operettenhafte Vorstellung. Wie in jeder entwickelteren Gesellschaft, von der die Geschichte 701 weiß, bildete auch bei ihnen ein handeltreibender Mittelstand und ein körperlich arbeitender vierter Stand das Gros der Bevölkerung. Auch Sklaven konnten davon nicht dispensieren. Die »Nichtstuer«: Die Philosophen und Athleten, Marktschreier und Straßenoriginale waren eine kleine Minorität, von der aber am meisten geredet wurde, und dadurch entstand die optische Täuschung, so habe der Normalgrieche gelebt. In der Adelszeit hat eine Herrenkaste wirklich ein Dasein geführt, das in Jagd und Krieg, Agon und Gelage aufging; in der späteren Zeit war die Verachtung der Banausie bloßes Dekorumsgeschwätz und historische Reminiszenz ohne Gegenwartsinhalt, wie der Gentleman im neunzehnten Jahrhundert, wo jeder Kommis und Kleinbürger sich so nannte. Aber die Theorie hielt sich, wenn auch mit einigen Inkonsequenzen. Daß Geldgeber und Unternehmer nicht für Banausen galten, ist wohl damit zu erklären, daß sie tatsächlich kaum arbeiteten. Über die Sophisten sagt Lange in seiner Geschichte des Materialismus, selbst ihre Anhänger seien zu ihnen nicht viel anders gestanden als heutzutage die Gönner eines berühmten Opernsängers: »Die meisten hätten sich inmitten ihrer Bewunderung geschämt, das gleiche zu werden.« Die Lyriker waren vom Stigma der Banausie nicht betroffen, obgleich sie ihre Siegeslieder für Geld machten, und zwar auf Bestellung irgendeines reichen Rennstallbesitzers, den sie dann mit Begeisterung andichteten (was wieder wir höchst banausisch finden würden); aber die Arrivierten unter ihnen verdienten so viel, daß, wie etwa heutzutage bei den Bankgrößen, das Odium in Respekt umschlug. Dauernd geringgeschätzt blieben aber die Bildhauer, weil man sich ihre Arbeit als besonders anstrengend vorstellte. Wenn βάναυσος eigentlich wörtlich einen bezeichnet, der an der Esse sitzt, so war der Erzgießer und Steinmetz eben der typische Banause. Noch Plutarch sagt, daß man am Kunstwerk Vergnügen finden könne, ohne deshalb den 702 Künstler für nachahmungswürdig zu halten: »Wir lieben Wohlgerüche und Purpur, halten aber Salbenköche und Färber für Banausen«; er fand also zwischen dem Erzeuger eines Gewandstoffs oder Parfums und dem Schöpfer eines Tempels oder Bildwerks keinerlei Wesensunterschied. Ja er meint sogar, kein edler Jüngling würde sich wünschen, ein Phidias oder Polyklet, Anakreon oder Archilochos zu sein. Man muß aber bedenken, daß noch vor anderthalb oder zwei Jahrhunderten wohl ebenfalls niemand aus der »Gesellschaft« einen »Literator« für ebenbürtig gehalten hätte und ein Lessing und Rousseau mit einer ganz ähnlichen Mischung aus Wohlgefallen und Mépris betrachtet wurden. Die Maler scheinen zumeist nicht diesem Verdikt unterworfen gewesen zu sein, entweder wiederum wegen der hohen Honorare oder weil man ihre Tätigkeit für keine Arbeit hielt.


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