Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Hippokrates

Wir müssen uns unter Anaxagoras und Demokrit bereits wirkliche Gelehrte vorstellen, wie denn überhaupt das perikleische Zeitalter ein wissenschaftliches war. Man beschäftigte sich schon mit ziemlich schwierigen Problemen. So begriff zum Beispiel Antiphon, ein Sophist und Zeitgenosse des Sokrates, den Kreis als ein Polygon mit unendlich vielen Ecken: er bewies dies auf griechische Weise anschaulich, indem er in einen Kreis ein Quadrat einschrieb, über dessen Seiten gleichschenklige Dreiecke errichtete, über deren Seiten wiederum welche und so fort. Bei Aristophanes kommt auch das Suchen nach der Quadratur des Zirkels vor, wo es natürlich verhöhnt wird. Auf welcher hohen moralischen Stufe die Heilkunst stand, zeigt der »Eid der Ärzte«, in dem die Adepten sich verpflichteten, keine Gifte zu verabreichen, auch nicht denen, die sie darum bäten, keine Abortivmittel anzuwenden, Unterricht nur wiederum an vereidigte Schüler zu erteilen und Arme unentgeltlich zu behandeln. Andrerseits erhielten sie nicht selten außerordentlich hohe Honorare, und ihr Beruf war der einzige, dem man dies nicht übelnahm. Es gab auch Gemeindeärzte, staatliche Prüfung und Beaufsichtigung aber nicht, da dies offenbar Sache der Innung war. Man besaß auch schon Heilstätten, zum Beispiel das berühmte Sanatorium bei Epidauros an der Ostküste der Argolis, das, inmitten herrlicher Nadelwälder und köstlicher Quellen nahe der Seebrise, aber windgeschützt gelegen, mit einem Kurhotel, einem Theater, 875 einer Rennbahn und einem Heiltempel ausgestattet war, dem Asklepieion, wo zahlreiche Inschriften von Krankengeschichten, Wunderkuren und dem Dank der Genesenen an die Gottheit erzählten. Der große Hippokrates aus Kos, der Stifter der koischen Schule, war ungefähr gleichaltrig mit Demokrit. Nach seiner Lehre war der wichtigste Faktor die Heilkraft der Natur, die der Arzt nur zu unterstützen habe, die Krankheit ein Bruch in der Harmonie, die sich selbst wiederherzustellen strebt, Gesundheit Gleichgewicht der Gegensätze: ein echt griechischer Gedanke, wonach der menschliche Leib eine Art Tempel und die Medizin eine wirkliche Heilkunst, ein Problem der Ästhetik ist. Die Feinheit seiner Diagnosen war, nach dem Erhaltenen zu schließen, staunenswert; seine Abhandlung über Kopfwunden gilt heute noch als eine Meisterleistung. Er unterschied auch schon ganz scharf zwischen der Krankheit und ihren Symptomen und zwischen Heilung und bloßer Stillung des Schmerzes. Großen Wert legte er auf Diät, Gymnastik, Luft-, Sonnen- und Wasserkuren; Narkotika kannte er bereits, verwendete sie aber sparsam. Mit Vorliebe verordnete er abführende, brechreizende und harntreibende Mittel und Aderlaß: lauter Dinge, auf die man jetzt langsam wieder zurückkommt. Sein Name war so groß, daß man fast alle medizinischen Werke ihm zuschrieb.


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