Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die Bürokratie

In diese Zeit fällt auch die vollendete Ausbildung der Bürokratie, als deren Erfinder überhaupt die Ägypter angesehen werden können; alle fremden Regierungen, die sich später am Nil etablierten: die Achämeniden, die Ptolemäer, die römischen und byzantinischen Kaiser sind hierin bei ihnen in die Schule gegangen. Durch die ganzen Verhältnisse des Landes waren die Ägypter ja auch von vornherein auf ein möglichst sorgfältig ausgebautes Verwaltungssystem angewiesen. Es wird ununterbrochen kontrolliert, protokolliert, katastriert; nicht das Geringste bleibt unnotiert. Wie der Nilschlamm durch unzählige Kanäle über die ganze Fruchtniederung geleitet wird, so ist das feinmaschige Netz einer spezialisierten Beamtenhierarchie über alles Ägyptische gebreitet. »Schreiber« und »Beamter« sind Synonyme. Überall gibt es Archive, wo, in Krügen verwahrt und gewissenhaft rubriziert, die Akten ruhen. Natürlich hat diese Bürokratie, gerade weil sie die vollendetste war, auch alle Schattenseiten im höchsten Maße entwickelt. Zunächst den Leerlauf des Administrierens, durch den dieses schließlich Selbstzweck wird. Sodann die Korruption und Schlamperei, über die zu allen Zeiten Klagen ertönten: »Ich habe«, erklärt ein Oberarbeiter, »mein Getreide erst bekommen, nachdem ich zehn Tage täglich ›gib es doch‹ gesagt habe«, ein anderer reklamiert einen Esel, der im Instanzenweg verschwunden ist, aber ein Angestellter aus der thebanischen Zeit bleibt bei allem Ärger poetisch: »Was soll das heißen, daß ich dir sage: ›gib zehn Stück Gänse an meine Leute‹ und du dann nicht hingehst zu diesem weißen Vogel und zu diesem kühlen Teich?« Vor allem aber war die Berufsbeamtenschaft von jenem drolligen und lästigen Dünkel erfüllt, den sie zu allen Zeiten besessen hat. Der neue Stand blickte voll Hochmut nicht nur auf die dienende 202 Klasse der Bauern und Handwerker, sondern auch auf die herrschende der Krieger und Grundbesitzer, denn nur er war »gebildet«. Jede andere Tätigkeit ist erbärmlich: »Ich habe den Schmied bei seiner Arbeit gesehen«, sagte ein Dichter des Mittleren Reiches, »da saß er am Loch seines Ofens; seine Finger waren wie Krokodilhaut, er stank mehr als Fischrogen.« Auch der Künstler ist nur ein Kuli: »Der Künstler, der den Meißel führt, muß sich mehr abarbeiten als einer, der das Feld pflügt. Ist er vielleicht in der Nacht befreit? In der Nacht zündet er Licht an!« Und das Resümee lautet: »Setze dein Herz hinter die Bücher; es geht nichts über die Bücher.« Aber die Begründung ist sehr banausisch: Du kannst dann jeden Posten in der Residenz bekommen.

Aus der Zeit der fünften Dynastie stammt auch die Lehre des Ptahhotep, eines der berühmtesten ägyptischen Bücher, dessen Sentenzen noch nach zwei Jahrtausenden als geflügelte Worte umliefen. Ob Ptahhotep, der unter einem König Issi die Stelle eines Wesirs und »Vorstehers der Hauptstadt« bekleidete, wirklich der Verfasser ist, läßt sich nicht mehr ausmachen; vielleicht handelt es sich nur um eine literarische Fiktion. Das Werk enthält »Aphorismen zur Lebensweisheit«, etwa in der Art des Knigge, der ja auch kein bloßes Komplimentierbuch ist, und will daneben auch eine Vorlagensammlung für gewandte und vornehme Ausdrucksweise sein. Schon gleich der erste Ausspruch zeugt für die hohe Weisheit und Menschlichkeit des Verfassers: »Sei nicht stolz auf dein Wissen und baue nicht darauf, daß du ein Gelehrter bist. Hole dir Rat bei den Unwissenden so gut wie bei den Wissenden, denn es gibt keine Grenze für die Kunst und kein Künstler besitzt die Vorzüglichkeit ganz. Eine gute Rede ist versteckter als der Grünstein und doch findest du sie bisweilen bei der Sklavin am Mühlstein.« Auch von dem seichten und kläglichen Opportunismus der landläufigen Schreiberphilosophie findet sich bei Ptahhotep nichts. »Mit Recht und Wahrheit«, sagt er, »kommst du am 203 weitesten im Leben.« Auf das weibliche Geschlecht ist Ptahhotep nicht gut zu sprechen: »Hüte dich, den Frauen zu nahen. Ein Ort, wo sie sind, ist nicht gut. Tausende gehen ihretwegen ins Verderben; man wird zum Toren gemacht durch ihre gläsernen Glieder, aber der Ausgang ist mißfarben. Ein Weniges, ein Kleines, einem Traume gleich, und am Ende steht der Tod.«

Die bildende Kunst Ägyptens erlebte in dieser Periode ihre erste Hochblüte. Sie ist in ihrem einmaligen Charakter längst fixiert. Die Holztafel mit dem Relief des Hesire aus der Zeit der dritten Dynastie zeigt bereits den Typus, wie er bis in die Spätzeit der Kanon des »schönen ägyptischen Menschen« geblieben ist. Und derselben Zeit gehören Vorlagen an, auf denen durch Hilfslinien und Punkte die genauen Dimensionen und Proportionen für den zeichnerischen Aufbau einer Männerfigur angegeben sind. Aus dem Anfang der vierten Dynastie stammen die berühmten sechs Gänse von Medum, die den ägyptischen Naturalismus in seiner vollen Souveränität zeigen: nur die Japaner haben bisweilen dieselbe Feinheit und Sicherheit des Faksimiles erreicht. In die fünfte Dynastie fallen einige der größten Kunstwerke der Plastik: der Dorfschulze, ein Holzporträt von sprühender Lebendigkeit, die durch die Bemalung noch erhöht worden sein muß, obgleich man sich das kaum mehr vorstellen kann; der Schreiber, heute im Louvre, eine Gipfelleistung geistreicher und warmer Charakteristik; die beiden prachtvollen Statuen des Ranufer, Oberpriester von Memphis. Die Ausschmückung der Tempel und Gräber wird zusehends redseliger: schließlich bedeckt ein reiches Spitzengewebe von kostbaren Stilleben Genreszenen, Familienidyllen alle Wände und Decken; auch der König erscheint, tapetenhaft vervielfacht, immer wieder: das heilige Feuer entzündend, räuchernd, Milch, Wein, Öl spendend, bald für den Norden, bald für den Süden; an die Stelle der kantigen Granitpfeiler treten zierliche Palmensäulen mit koketten Kapitellen. 204


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