Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Zwei ägyptische Mysterienspiele

Die Ägypter kannten auch die satirische Fabel, aber nicht als literarisches Genre, sondern als zeichnerisches. Das Lieblingsthema ist die verkehrte Welt: Füchse hüten Gänse, Schakale opfern Schweinen, Ratten erstürmen eine Burg, die von zitternden Katzen verteidigt wird, der Löwe setzt sich mit der Gazelle 387 zum Brettspiel, das Nilpferd sitzt auf einem Baum, während der Wiedehopf eine Leiter braucht, um hinaufzukommen. Daß es von alters her auch so etwas wie ein Drama gab, zeigt der sogenannte »Schabakostein«, ein Block aus schwarzem Granit mit hieroglyphischen Inschriften, den der König Schabako, der Begründer der fünfundzwanzigsten Dynastie, in den Ptahtempel von Memphis gestiftet hatte. Die Entzifferung des Textes wurde erst durch Breasted ermöglicht, der erkannte, daß er »rückläufig« geschrieben sei, was bei religiösen Aufzeichnungen nicht selten vorkommt, dann durch Erman entscheidend gefördert, der ihn »ein Denkmal memphitischer Theologie« betitelte, und von Kurt Sethe in einer meisterhaften Edition abgeschlossen. Die Inschrift beginnt mit den Worten: »Seine Majestät schrieb dieses Buch von neuem ab. Seine Majestät hatte es gefunden als ein Werk der Vorfahren, indem es von Würmern zerfressen war.« Die graphischen Eigentümlichkeiten der nun folgenden Kopie weisen auf eine Vorlage aus der Pyramidenzeit, ihre sprachlichen Erscheinungen auf eine noch ältere Periode. Später ist dieses kostbare Dokument als Mühlstein benutzt worden, so daß die Schrift in der Mitte fast gänzlich zerrieben ist. Nach Sethes Annahme war der Text zur öffentlichen Aufführung bestimmt, indem er teils kurze dramatische Szenen, teils eine verbindende Erzählung enthielt, die von einer an der Darstellung unbeteiligten Person, etwa einem »Vorlesepriester«, gesprochen wurde. Sethe vergleicht diese Zwischenreden mit den »Titeln« des stummen Films; und auch Shakespeare verwendet ja bekanntlich in einigen seiner historischen Dramen noch solche Herolde, die die Handlung weiterführen. Die Gespräche und Rezitationen fanden bei religiösen Festen statt, und Sethe nennt sie daher mit Recht Mysterienspiele, die sich von unseren mittelalterlichen im Wesen kaum unterschieden haben dürften. Die lakonische Kürze der Reden und ihren oft zusammenhanglos oder alltäglich erscheinenden Inhalt erklärt 388 er damit, daß sie geflügelte Worte waren, nach der Art unserer Bibelzitate. In der Tat gewinnt ja auch bei unseren Passionsspielen der Text seine ungeheure Wirkung erst durch die heilige Situation und die Strahlenkrone von religiösen Assoziationen, die jeden Ausspruch umgibt, und in bescheidenerem Maße gilt etwas Ähnliches auch von den wenigen klassischen Dichtungen, die jedes Volk besitzt. Die Götterworte sind in ihrer Form höchst altertümlich, da man sie möglichst unverändert zu erhalten wünschte, so wie man heute noch die Bibelworte im Lutherdeutsch wiedergibt und sie zur Zeit der Reformation mit Vorliebe griechisch, ja hebräisch zitierte. Ein sakraler Stoff ersten Ranges, die Geschichte des Osiris und seiner Familie, bildete aber auch den Inhalt des Schabakotextes.

Sethe hat noch ein zweites Mysterienspiel herausgegeben, den Ramesseumpapyrus. Bei Ausgrabungen in den hinteren Räumen des Ramesseums fand man einen Kasten mit Papyri, die nach der Schrift dem Mittleren Reich angehörten. Sie enthielten, obschon in stark zerstörtem Zustande, ein Festspiel auf die Thronbesteigung Sesostris' des Ersten, auch dieses vornehmlich sakrale Vorgänge schildernd: ein Königsschlachtopfer findet statt, der Opferkuchen wird gebacken, der tote König wird einbalsamiert, er steigt zum Himmel. Zeit und Ort werden ebenso unbekümmert gewechselt wie bei Shakespeare. Die Handschrift ist sogar illustriert.


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