Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die hebräische Sprache

Das Hebräische wird, zusammen mit dem Phönizischen, dem Moabitischen und dem Kanaanäischen, der mittelsemitischen Sprachgruppe zugerechnet und hat sich aus dem Althebräischen, der Sprache des Alten Testaments, zum Neuhebräischen entwickelt, das sich dem Mönchslatein des Mittelalters vergleichen läßt. Als noch die Reiche Israel und Juda bestanden, war das Volk auch sprachlich in die beiden Dialekte des Nordhebräischen und Südhebräischen gespalten. Nach dem Exil drangen zahlreiche Aramäismen ein, und während des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts wurde das Aramäische, das bereits zur Perserzeit in ganz Vorderasien die offizielle Verkehrssprache war, in Palästina das allgemeine Landesidiom, während das Hebräische nur noch der Kirche und der Gelehrsamkeit diente. Um 150 vor Christus entstand der einzige größere Abschnitt des Alten Testaments, der aramäisch geschrieben ist, das Mittelstück des Buchs Daniel. Die Christen haben die Schriften des Alten Bundes zunächst nur griechisch kennengelernt; erst die Reformation griff auf den Urtext zurück: die hebräische Philologie begründete Reuchlin mit seinem zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts erschienenen Werk »De rudimentis hebraicis«, gegen Ende des Jahrhunderts lag bereits das ganze Alte Testament hebräisch gedruckt vor.

Das Hebräische ist eine Konsonantensprache. Die Bedeutung eines Wortes haftet niemals am Vokal, wie zum Beispiel im Deutschen (laben, leben, loben) oder im Englischen (better, bitter, butter), sondern stets an den zumeist in der Dreizahl 477 vorhandenen Wurzelkonsonanten: zum Beispiel heißt kadosch heilig, kadesch der Geheiligte, kodesch Heiligtum, kadasch er war heilig. Zusammengesetzte Wörter finden sich nur in Eigennamen. Ebenso fehlen eigentliche Tempora: Es gibt nur Perfekt oder vollendete und Imperfekt oder unvollendete Handlung; dieses dient auch zur Bezeichnung des Futurums. Ersatz bieten die reich ausgebildeten Modi: Reflexiv, Intensiv, Kausativ, Konativ. Auch ein Medium kennt das Hebräische. Beim Genus wird Maskulin und Feminin unterschieden; von den Neutris gilt als männlich, was groß, stark, herrschend, tätig ist, als weiblich, was klein, schwach, dienend, empfangend ist. Zumeist wird das weibliche Geschlecht durch besondere Endungen ausgedrückt. An Numeris kennt das Hebräische Singular und Plural und daneben einen Dual, der aber nur für Bezeichnungen von gepaart Vorkommendem, wie: Hände, Füße, Waage, Zange, gebraucht wird. Der Artikel ist für alle Genera und Numeri derselbe. Für die Syntax ist es besonders charakteristisch, daß das Verb zumeist dem Substantiv vorangeht (diese Konstruktionsweise, jedermann als die typisch jüdische bekannt, verwendet zum Beispiel Shakespeare beim Shylock); auch bildet das Hebräische am liebsten Hauptsätze und koordiniert oft, wo wir einen Nebensatz erwarten, mit »und«. Eine prachtvolle Charakteristik der hebräischen Sprache gibt Renan in seiner »Histoire du peuple Israel«: »Ein Köcher voll stählerner Pfeile, ein zusammengedrehtes hartes Ankertau, eine eherne Posaune, deren wenige gellende Töne die Luft zerreißen: das ist die hebräische Sprache. Diese Sprache ist unfähig, einen philosophischen Gedanken, ein wissenschaftliches Ergebnis, einen Zweifel oder das Gefühl des Unendlichen auszusprechen. Sie kann nur wenig sagen, aber was sie sagt, ist wie der Schlag des Hammers auf den Amboß.« Philosophie im hellenischen Sinne oder gar Wissenschaft wird man im Alten Testament in der Tat vergeblich suchen, aber großartige Zweifel finden sich im Buch 478 Hiob, und ein Hauch von Unendlichkeit weht durch die Schriften der Propheten; gleichwohl hat Renan recht, denn all dies ist nicht voll in Worte eingefangen, sondern zieht nur wie eine Ahnung vorüber.

Durch die noch heute klassische Bibelübersetzung Luthers wird der Eindruck erweckt, als sei das ganze Alte Testament in Prosa geschrieben. Es finden sich aber in allen seinen Schichten, selbst in den historischen Büchern, poetische Stücke, die zweifellos metrisch abgefaßt waren. Da aber kein Mensch weiß, wie das Althebräische gesprochen wurde, so gibt es über die Form jenes Metrums nur schwankende und strittige Theorien. Auf eine Art Versbau deutet schon die Lieblingsfigur der hebräischen Rhetorik, der »Parallelismus der Glieder«, die in fast alle späteren Literaturen Eingang gefunden hat. Es wurde schon erwähnt, daß sie von den Ägyptern stammt. Man unterscheidet einen synonymen, einen antithetischen und einen synthetischen Parallelismus. Der synonyme ist der spezifisch ägyptische: er besteht darin, daß das zweite Glied den Gedanken des ersten mit anderen Worten wiederholt, wofür bereits ägyptische Beispiele gegeben wurden. Die antithetische Form bringt im zweiten Teil das Gegenstück zum ersten: »Nur die Lumpen sind bescheiden, Brave freuen sich der Tat«; bei der synthetischen verhält sich der Hintersatz zum vorderen ergänzend oder begründend: »Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht und die Gewohnheit nennt er seine Amme.« Obgleich sich in der Bibel alle drei Spielarten finden, so ist doch die erste, als die typisch orientalische, auch im Hebräischen die weitaus geläufigste: »Was ist der Mensch, daß Du seiner gedenkest, und des Menschen Kind, daß Du seiner Dich annimmst?« Sie steigert sich bisweilen bis zum Refrain: »Danket dem Herrn, der große Könige schlug, denn seine Güte währet ewiglich; und er würgte mächtige Könige, denn seine Güte währet ewiglich« oder zur eindringlichen Verstärkung, die man als 479 »Stufenrhythmus« bezeichnet hat: »Sei uns gnädig, Herr, denn wir sind sehr voll Verachtung; sehr voll ist unsere Seele von der Stolzen Spott und der Hoffärtigen Verachtung.« Sehr schön sagt Herder in seiner Schrift Vom Geist der Ebräischen Poesie über den Parallelismus: »Sobald sich das Herz ergießt, strömt Welle auf Welle, das ist Parallelismus. Es hat nie ausgeredet, hat immer etwas Neues zu sagen. Sobald die erste Welle sanft verfließt oder sich prächtig bricht am Felsen, kommt die zweite Welle wieder . . . Die beiden Glieder bestärken, erheben, bekräftigen einander in ihrer Lehre oder Freude . . . Es ist, als ob der Vater zu seinem Sohn spräche und die Mutter es wiederholte. Die Rede wird dadurch so wahr, herzlich und vertraulich.«


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