Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der «Westen« von Theben

Während der fünf Jahrhunderte des Neuen Reichs war das hunderttorige Theben der Mittelpunkt des Landes. Die heutigen Ruinen geben von der einstigen Pracht selbstverständlich ebensowenig ein Bild wie eine vergilbte Fotografie von einem Rubens. Aber auch die zurückträumende Phantasie vermag sich diese Zauberwelt kaum mehr zu vergegenwärtigen: diese endlosen Widderalleen und Sphinxstraßen, die sich in blauen Teichen spiegelten, diese tausend juwelengeschmückten, leuchtend kolorierten Säle und Säulen, Tore und Türme, diese rosenglänzenden, goldbehelmten Obelisken und bunten flatternden Flaggen auf silbernen Masten, diese weihrauchumdampften Götterprozessionen zu Wasser und zu Lande, gekreuzt von stolzen Karawanen und Kaufseglern, die mit allen Köstlichkeiten Asiens beladen waren, diese summende Fülle reichen und rauschenden Lebens, umwogt von dem duftenden Farbenmeer tropischer Gärten. Ganz ebenso wie in unseren heutigen Weltstädten war auch in Theben der Westen der Schauplatz des regsten Geschäfts und Verkehrs, des raffiniertesten Luxus und Komforts, der erlesensten Kunst und Zivilisation. Aber für den Ägypter beginnt das große Leben ja erst nach dem Tode, und daher war der Westen die Totenstadt. Es gab dort Avenuen, Wohntürme, Häuserfluchten; und ein Heer von Totenpriestern, Grabwächtern und Tempeldienern, 382 Steinmetzen, Malern und Maurern, Sargtischlern, Einbalsamierern und Amuletterzeugern, das wiederum eine Menge von Bäckern, Bierbrauern, Viehzüchtern ernährte, hatte dort sein Lager aufgeschlagen. Aber die größere Siedlung lag im Felsen oder unter der Erde: Myriaden von Schlafzimmern und Kunstkammern. Man hat berechnet, daß in dieser Gegend im Laufe der ägyptischen Geschichte mindestens zweihundert Millionen Menschen begraben worden sind, und hat den libyschen Abhang mit seinen zahllosen schwarzen Grablöchern recht anschaulich mit einer Honigwabe verglichen.

Daß die Nekropole sich im Westen, am linken Nilufer befand, hatte, ganz ebenso wie die Lage der Pyramiden, seinen Grund darin, daß man dort alltäglich die Sonne, auf der Osiris ins Totenreich wandert, hinter dem Wüstenrand verschwinden sah. Am rechten Ufer liegt heute Luksor. Zwischen dieser Stadt und dem Dorf Karnak dehnte sich das Ostviertel Thebens mit seinen herrlichen Tempeln und Palästen. Das dortige Amonheiligtum war eines der größten Gebäude der Welt. Von der Großartigkeit der Anlagen kann man sich einen Begriff machen, wenn man erfährt, daß die gepflasterte Straße, die von Luksor nach Karnak führte, von etwa tausend steinernen Widdern und Sphinxen flankiert war und daß allein im »Großen Pfeilersaal« des Tempels von Karnak, der im Altertum als Weltwunder galt, 134 Säulen standen: von 3 bis 3½ Meter Durchmesser und einer Höhe von 13 bis 21 Meter. Die Gräber auf der anderen Seite befinden sich, obschon keines von ihnen jünger ist als zweitausend Jahre und die meisten viel älter, in einem überraschend frischen Zustand. Nicht selten sieht man noch Fingerabdrücke und Spuren nackter Füße. Auch die Farben sind oft von völlig unversehrter Reinheit und Leuchtkraft. Dabei finden sich Zusammenstellungen von so zarter und erlesener Harmonie, daß es fast unerklärlich erscheint, wie sie beim düstern Schein schwelender Fackeln und armseliger 383 Öllämpchen gemalt werden konnten. Vielleicht haben die Ägypter eben doch viel vollkommenere Beleuchtungsmethoden gehabt, als wir annehmen, wie wir überhaupt über den Rang ihrer technischen Werkzeuge möglicherweise ganz irrige Ansichten haben. Die hohen Flaggenmasten mit den vergoldeten Spitzen zum Beispiel waren vielleicht Blitzableiter.

Von den drei hervorragendsten Anlagen der Westseite – der el Bahri, dem Ramesseum und Medinet Habu – haben wir schon gehört. Das prachtvollste Gebäude soll aber der Totentempel gewesen sein, den sich Amenophis der Dritte errichtete; als Merneptah billiges Baumaterial für sein eigenes Heiligtum brauchte, hat er ihn völlig demolieren lassen, und nichts steht heute mehr von ihm als die beiden verstümmelten Riesenbildnisse des Königs, die Memnonskolosse. Ein langer »Dromos« (so nannten die Griechen die ägyptischen Statuenstraßen), gebildet von Schakalen, führte vom Flußufer zum Pylon, die Fußböden waren mit Silber, die Tore mit Gold überzogen und »es herrschte Überfluß an Bildsäulen des Königs aus rotem Granit und allen Arten kostbarer Steine«. Es scheint also schon unter Amenophis dem Dritten, dem man mit Grund den Beinamen des »Prächtigen« verliehen hat, bis zu einem gewissen Grade dasselbe prahlende Schwelgen in Materialwirkungen geherrscht zu haben wie unter den Ramessiden. Von dem Tempel der Hatschepsut läßt sich das noch keineswegs behaupten. Er ist zwar ebenfalls eine Riesenanlage, die in drei enormen Terrassenbauten emporsteigt, hat aber in Komposition und Linienführung, besonders in der Säulenbehandlung, geradezu etwas Griechisches.


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