Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der Peloponnes

Der Peloponnes ist schon im Altertum recht zutreffend mit einem Platanenblatt verglichen worden; den Stiel dieses Blattes bildete die dorische Landschaft Megaris, vermöge ihrer Lage zu hoher Blüte bestimmt, aber von den Athenern ebenso eifersüchtig niedergehalten wie Salamis und Aigina. Am schmalsten wird die Landbrücke gerade an der Stelle, wo sie an den Peloponnes anlegt, und hier, am Isthmos, lag zwischen zwei Meerbusen, dem Korinthischen und dem Saronischen, die Welthandelsstadt Korinth mit ihrem prachtvollen Hafen, ihrer sechshundert Meter über der Stadt gelegenen Bergfeste Akrokorinth und der gewaltigen Mauer, die, quer über den Isthmos laufend, den Peloponnes vollständig abriegelte. Ein Durchstich der Landenge wurde bereits um 600 vor Christus von Periander, dem Tyrannen von Korinth, geplant, dann dreihundert Jahre später von Demetrios Poliorketes, König von Makedonien, auch von Julius Cäsar und dem Kaiser Caligula, der durch einen Stabsoffizier umfangreiche Vermessungen vornehmen ließ; aber wirklich in Angriff genommen wurde er nur von Nero, der die Erdarbeiten unter großem Pomp eröffnete, jedoch nach kurzer Zeit infolge eines gallischen Aufstands und abschreckender Vorzeichen wieder abbrechen ließ. Das Werk wäre zweifellos gelungen, denn die römischen Ingenieure hatten die beste Linie gewählt, die genauso wieder gelegt wurde, als die Grabungen im Jahre 1881 von neuem aufgenommen wurden. 1893 konnte der Kanal, 6¾ Kilometer lang, 8 Meter tief, dem Verkehr übergeben werden. Aber er war eine Enttäuschung: Er wird fast nur vom Lokalverkehr in Anspruch 579 genommen und deckt kaum die Betriebskosten. Die Bedeutung Korinths im Altertum beruhte eben gerade darauf, daß es an einer Landenge lag, wodurch es zwei Meere beherrschte und außerdem das Sperrfort der Halbinsel bildete; für den Binnentransport diente von alters her in ausreichendem Maße eine Rollbahn, der diolkos, auf der Schiffsladungen und kleinere Fahrzeuge von einem Golf zum anderen geschleift wurden.

Der Peloponnes, selbst die Halbinsel einer Halbinsel, entsendet abermals vier Halbinseln; die argolische, die beiden lakonischen, und die messenische. Argolis leidet in einem Großteil seines Gebiets an Regenmangel; weit fruchtbarer ist schon Lakonien, das vom Eurotas, dem »Schilfreichen«, durchströmt wird; Messenien aber, dem die Südwestwinde reichlich Niederschläge zuführen, besitzt die üppigste Vegetation von ganz Hellas. Das mächtige Massiv des Taygetosgebirges, das Messenien von Lakonien trennt, aber auf die Dauer doch keinen Schutz gegen die landhungrigen Spartiaten zu bieten vermochte, mündet an der Spitze der westlichen lakonischen Halbinsel in das Kap Tainaron, den südlichsten Punkt des griechischen Festlands. Nördlich von Messenien erstreckt sich der Kanton Elis, bewässert von Alpheios, dem größten Fluß des Peloponnes, und an ihm liegt Olympia, der hochberühmte Festspielort der Griechen. Die merkwürdigste peloponnesische Landschaft aber ist Arkadien, das, in der Form eines fast regelmäßigen Vierecks in der Mitte der Halbinsel gelegen und allenthalben von hohen Bergen umwallt und zerklüftet, durch all die Jahrhunderte des hellenischen Tumults ein idyllisches Sonderdasein geführt hat. Es ist oft mit der Schweiz verglichen worden; die Analogie stimmt auch insofern, als die Arkadier sich als vielbegehrte und gutbesoldete Reisläufer an jedermann vermieteten, ganz wie die Schweizer, von denen es im ausgehenden Mittelalter hieß »point d'argent, point de Suisse; kein Kreuzer, kein Schweizer«. Das Leben in den weltfernen 580 Gebirgswinkeln, die sich auch noch untereinander abschlossen, war rauh, dürftig und kulturarm; nur die Musikliebe teilten die Arkader mit allen übrigen Griechen. Zu einem Paradies ist Arkadien erst von der Großstadtsentimentalität der Alexandrinerzeit gemacht worden, und diese Vergoldung hat sich trotz ihrer Unechtheit durch die »Hirtenpoesie« aller modernen Völker bis in unsere Tage konserviert.

Man muß den Peloponnes trotz seines Landstengels als eine Insel ansehen, und die Griechen nannten ihn ja auch die Insel des Pelops. Daher müßte man eigentlich im Deutschen »die Peloponnes« sagen, denn nesos ist weiblichen Geschlechts; und nicht wenige Altertumsforscher tun dies auch. Aber dann müßte man auch »die Chersones« sagen (welches Wort, »Halbinsel« bezeichnend, im Griechischen in vielen Verbindungen vorkommt); und auch dies geschieht bisweilen. Doch wirken solche Überkorrektheiten sehr leicht affektiert. Man muß sich hier vom Sprachgebrauch leiten lassen, der oft sehr eigensinnig und fast niemals logisch ist. Wir sagen zum Beispiel, in richtigem Anschluß an das französische Geschlecht: der Flakon, der Balkon; aber kein Mensch sagt: der Billett, der Parkett. Wir sagen, da das griechische »metron« Neutrum ist: das Thermometer, das Barometer, das Manometer (obgleich der Gebrauch des männlichen Artikels durchaus nicht falsch ist); hingegen klingt »das Meter« schon etwas befremdend, »das Kilometer« zumindest schrullenhaft und »das Gasometer« geradezu ungebildet. »Die Portikus« hinwiederum, in der Kunstwissenschaft ziemlich gebräuchlich, hört sich zu gebildet an: wie als ob man sich hochmütig von der Plebs abgrenzen wollte, die nicht weiß, daß Portikus im Lateinischen Femininum ist. Vollends aber »der Kontur« zu bilden, weil es im Französischen »le contour« heißt, ist der Ausfluß eines menschenfeindlichen Gelehrtendünkels oder eines wichtigtuerischen Snobismus: es ist ungefähr ebenso fein, nämlich im höheren Sinne unfein, wie wenn 581 man eine Aprikose mit Messer und Gabel verzehrt, obwohl beides zweifellos das Korrektere ist.

Während die Natur fast aller übrigen griechischen Gebiete ausgesprochen maritim ist, trägt der Peloponnes mit seinen festungsartigen Gebirgszügen, isolierten Hochebenen und geschlossenen Talkesseln Kontinentalcharakter. Die Griechen nannten ihn denn auch die Akropolis von Hellas. Die Spartaner waren bekanntlich unverbesserliche Landratten und andrerseits in ihrem Konservatismus und ihrer splendid isolation typische Insulaner. Übrigens war der Peloponnes, der heute eine künstliche Insel ist, ursprünglich eine natürliche, denn das Baumaterial des Isthmos stammt erst aus dem späten Tertiär. Kant sagt einmal vom englischen Volk, es habe einen Charakter, »den es sich selbst angeschafft hat«: dies läßt sich ganz wörtlich auch auf die Lakedaimonier anwenden. Sparta ist der klassische Fall eines über die Natur hinaus und sogar gegen die Natur erzwungenen Zuchtprodukts. Solche künstlichen Gebilde bergen stets die Gefahr einer frühen Versteinerung. Eine Insel, die sich mit Konsequenz zu ihrem Inselcharakter des Solipsismus und der »Selbstgenügsamkeit« bekennt (zu der der imperialistische Expansionswille nur die naturgegebene Kehrseite bildet), muß früher oder später den Rückwirkungen der physischen und geistigen Inzucht erliegen; dies hat sich an Venedig gezeigt, und auch an Japan wird es sich zeigen, während England, in bewußter oder instinktiver Erkenntnis der Gefahr, bereits an der Umstellung arbeitet.


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