Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Das Grab Tutenchamons

Eje hat seinem Schwiegerenkel das prachtvolle Grab ausgerichtet, das von Howard Carter und Lord Carnavon am 26. November 1922 eröffnet wurde. Es lag im »Tal des Todes«, nordwestlich von Der el Bahri. Von den siebenundzwanzig Herrschern, die dort beigesetzt wurden, ist der einzige Tutenchamon von Räubern verschont geblieben. Als nämlich 1150 vor Christus König Ramses der Sechste für sich ein riesiges Felsgrab ausheben ließ, stürzte eine Unmasse Schutt und Geröll herab und türmte über den tiefer liegenden Grabkammern Tutenchamons eine undurchdringliche Schutzdecke, durch die sie den Diebsbanden, die etwa zwei Jahrhunderte später die ganze Wüstennekropole gründlich ausplünderten, entzogen blieben. Ihre Wiederauffindung ist einer der wunderbarsten Zufälle. Die Räume waren dicht gefüllt mit den herrlichsten Prunkstücken. Man fand unter anderm: ein Gewand, das von oben bis unten mit Rauten und Perlen besetzt war, ein anderes mit mehr als dreitausend goldenen Rosetten, drei Paar goldene Sandalen, eine vergoldete Kopfstütze, vier 369 Bronzeleuchter: in einem noch die angebrannte Leinenkerze, eine Schnalle aus Goldplatt mit Jagdszenen, ein Szepter aus schwerem Gold mit Lapislazulieinlage, mehrere kostbare Brustplatten, zwei mit Elfenbein inkrustierte Klappstühle, ein Paar silberne Wurfhölzer, vier verschwenderisch geschmückte Kutschierwagen, ein Mieder aus einigen tausend Stücken Gold, Glaspaste und Fayence; daneben zahlreiche Dinge zum alltäglichen Gebrauch: Wäsche, Handschuhe, Salbbüchsen, ein Weinsieb, ein Sonnendach, eine Kleiderbürste zum Aufhängen der Gewänder und Halskragen, ein halbes Schock eiförmiger Holzbehälter mit gebratenen Enten und anderen Speisen. Eine der schönsten Arbeiten ist ein goldener Fliegenwedel: auf der Vorderseite der König zu Wagen, mit seinem Hunde Strauße jagend, auf der Rückseite die Heimkehr mit der Beute, auf dem Griff die Mitteilung, daß die Jagd in der Ostwüste von Heliopolis stattfand; eines der originellsten Stücke ist eine Alabasterlampe, die, erleuchtet, in prächtigen Farben die Bilder des Königs und der Königin durchschimmern läßt.

Die Leiche des Königs bargen zunächst vier reichverzierte versiegelte Schreine, die ineinandergeschoben waren. In ihrem Innern ruhte ein ungeheuer schwerer Sarkophag aus gelbem Quarzit mit den eingemeißelten Bildnissen von vier Göttinnen, die, jede an einer Ecke, schützend ihre Flügel ausbreiten. Dann kam der erste der drei mumienförmigen Särge: ein Abbild des Königs aus schwer vergoldetem Hartholz. Er umschloß wie eine Zwiebelschale den zweiten Sarg aus Eiche, Goldstuck und bunten Glaseinlagen, ein Meisterwerk des Kunsthandwerks und der Porträtkunst. Der dritte Sarg ist aus purem Gold und stellt den König als Osiris dar. Und nun erst gelangte man zu der sorgfältig gearbeiteten Mumie, aber auch hier noch waren Kopf und Brust mit einer Goldmaske bedeckt, die das Schönste von allem ist. Man hat in dem traurigen und entrückten Antlitz des jungen Königs eine Familienähnlichkeit 370 mit Echnaton und Teje erkennen wollen, und in der Tat dürften die Schwiegersöhne nicht bloß angeheiratet, sondern auch blutsverwandt gewesen sein. Das Kinn der Maske trägt den Königsbart, die Stirn die Uräusschlange. Auch die Finger und Zehen steckten in Futteralen aus poliertem Gold und die Unterarme in dichten Reihen von breiten Armbändern aus Silbergold und Halbedelsteinen. Den Leib bedeckten kostbare Amulette. Der schönste Schmuck des Grabes aber ist ein Sträußchen aus Olivenblättern, Lotosblüten und Kornblumen, das die jugendliche Witwe auf das Kopfende des obersten Sarges gelegt hat. Neun Jahre zählte Tutenchamon, als er den Thron bestieg, und höchstens ebenso viele Jahre hat er regiert, umbrandet von Familienhändeln, Glaubenskämpfen und Hiobsbotschaften aus dem fernen Osten; und länger als drei Jahrtausende stand all der entzückende Goldplunder unversehrt, wie ihn der gute alte Eje und die kleine Anchesenamon um seine arme Mumie gehäuft hatten, deren Seele längst zur Sonne geflogen war. Nichts hatte ihre zärtliche Fürsorge vergessen: sogar ein schön geschnitztes Stühlchen, das er als kleines Kind benutzt hatte, und einen behutsam in Golddraht gewickelten Rohrstock mit der Inschrift: »Diesen Stab schnitt Seine Majestät mit eigener Hand«, legten sie dem verwöhnten Knaben ins Totenhaus, und vor die Grabkammer stellten sie zwei lebensgroße Holzsoldaten: schwarz behelmte Nubier, die mit ihren Silberspeeren Wache halten sollten wie im Märchen. Was für ein rührender und rätselhafter Materialismus!


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