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335. Richard Wagner an Wilhelm Fischer

Mein lieber Bruder Fischer!

Wohl hätte ich Dir sogleich Deinen Herzensbrief, in dem Du mich zu Deinem Bruder machtest, beantworten sollen, um Dir meine Freude darüber auszudrücken; konnte ich aber nicht mit Recht annehmen, daß ich dieser Freude Dich nicht zu versichern hatte, daß Dein eigenes Herz Dir besser sagen würde, als Feder, Tinte und Papier es vermögen, wie dankbar und froh ich Deine Ergießungen aufgenommen, wie glücklich sie mich gemacht? Grüße, Küsse und Ausrufe hat Dir Heine mitgetheilt, auch wohl wie es sonst mit mir steht. Ganz neuerdings kannst Du auch Manches von ihm über mich hören, was ich daher nicht hier zu wiederholen habe; es ist mir daher lieb, von mir nicht viel reden zu brauchen und dafür will ich nun Dein Loblied singen:

Wie kommt es, daß wir Beide zusammenhielten und noch zusammenhalten, trotz so manchen Unterschiedes? Daß Du meines Gleichen in andern Beziehungen zu allen Teufeln wünschest, mich aber liebst und mir Gutes gönnst? Daß ich Vielen, die in Manchem Dir ähnlich sind unbarmherzig immer zu Leibe gehen möchte, jetzt aber nichts lieber wünsche, als Deinen dicken Leib recht inbrünstig umarmen zu können? Das will ich Dir genau sagen: es kommt daher, weil Alles, was bei uns Einem am Andren nicht gefällt, nicht dessen innerstes Wesen, sondern nur durch äußere Lebensverhältnisse gerade so gefügte Besonderheiten sind, die in der Berührung mit diesem Leben gerade diese oder jene Außenseite annehmen, mit der wir in diesem Leben uns aneinander rennen und stoßen: wenn man nun so recht heftig zusammengeprallt ist, so tritt der Moment ein, wo entschieden werden muß, ob man sich vollends ganz von einander abstoßen soll: und wie mir wird auch Dir es oft in Deinem Leben vorgekommen sein, daß wir bei einmaligem Zusammenstoß mit gewissen Leuten gefunden haben, wie es besser sei, diese Leute nun ganz bei Seite liegen zu lassen, weil wir eben be der Gelegenheit erkannt haben, daß unser ganzes inneres Grundwesen verschieden ist, daß der Eine aus warmen Herzensantriebe, der Andere aus verzehrendem Egoismus handelt. Wo es uns aber gelüstet, immer einmal wieder zusammen zu rennen, daß die Haare darum herfliegen, da geschieht es gerade deswegen, weil es uns reizt, den Menschen recht ohne Haare zu sehen, denn wir wissen, daß gerade dieser Mensch uns grundverwandt ist, und die Haare, die man fahren läßt, sind nichts Anderes, als die durch Verschiedenheit des Alters, der Erziehungen, Lebensrichtungen, Stellungen u. s. w. uns angeflogenen Außenseiten, die bei solch hitzigem Anstoß dahin gehen, woher sie gekommen sind, – gewissermaßen zum Teufel. –

Ich habe Dich oft einen Philister genannt: nun haben wir aber auch z. B. R. einen Philister genannt. Bist Du R.'s Genoß und ihm ähnlich? Bewahre der Himmel! Dir ist R's Grundwesen so zuwider wie mir, und warum? Eben weil das Philisterwesen sein Grundwesen ist, – weil er – bei aller Begabtheit – charakterlos, neidisch, feig und unterwürfig ist; weil so ein Mensch, der schwach und ohne Muth ist, nicht etwa um einer Sache willen, sondern um seines lieben Ich's wegen, das er selbst nicht zu vertheidigen vermag, Alles so erhalten wissen will, wie es ihm und seiner Lauheit am bequemsten ist. Adieu! zu solchen Leuten gesellt sich, wer ihnen gleich ist, aber Niemand anders kann mit ihnen gemeinschaftliche Sache machen. – Nun liebster Bruder Fischer, das ist doch gerade Dein volles Gegentheil! Was hat uns denn immer zusammengehalten, als die Liebe und Freude an unserer Kunst? Der Eine verstand sie so, der andere so, aber immer verstanden wir sie doch aus dem Herzen heraus; sie war uns doch immer der Zweck und nicht das Mittel. Dich hatten nun Dein Leben, Dein Alter und Deine Erfahrungen dahin gestellt, daß Du, der schlechten Kunstwirtschaft unserer Zeit gegenüber, an das Erhalten des Guten denkst, was Du für Dich daraus gerettet hast: Du lässest die Lumpen links und rechts liegen und sammelst das Gesunde, wo es Dir noch begegnet, um Dich daran, wie aus einer Erinnerung her – zu erquicken und Dich persönlich vor der allgemeinen Fäulniß zu bewahren. Bei aller Liebe zur Sache wirst Du hierbei doch aber etwas Egoist. Du denkst: ei was! lassen wir den Dreck, Dreck sein, für mich halte ich mich noch daran, was gut und herzstärkend ist. Du wärst in Gefahr, hierin ein ganz eigensinniger Mensch, ja ein wirklicher Philister zu werden – wenn nicht ein Anderer, jüngerer und wilder Kerl käme, – der den Dreck nicht Dreck sein lassen will und mit beiden Händen aufzuräumen sucht. Der macht nur für jetzt lauter Gestank um Dich her: Du ärgerst Dich und willst dem Ruhestörer zu Leibe gehen: nun fliegen die Haare, Du erkennst Deinen Mann und kannst am Ende nicht anders, als den Ruhestörer von Herzen so lieb zu gewinnen, als Du mich. So ist's: uns trennen nur zufällige Dinge, wie Alter und Äußerlichkeiten des Lebens, vielleicht auch selbst der Fähigkeiten: nicht aber das, was uns beiden nothwendig ist und das ist das innere Wesen. Du liebst dasselbe, was ich liebe. Du siehst es nur etwas anders als ich, weil Du eine ganz andere Brille hast; Du willst endlich Ruhe haben und ich will endlich Unruhe haben. Daß Du mich aber lieben kannst, das rettet Dich vom philiströsen Egoismus, in den Dich der Teufel gern hinein ziehen möchte, vor dem Dich aber Dein frisches, warmes, wahres Herz bewahrt. Für mich aber kann gar nichts beseeligender sein, als daß gerade so ein alter, ehrlicher Kerl, wie Du, mich liebt, und so schließe denn auf den Grad der Erwiderung Deiner Liebe meinerseits. Nimm Dir Urlaub und überzeuge Dich davon, wenn du es nicht glauben willst.

... Hoffen wir! Wer das Herz auf dem rechten Flecke behält, dem gehört die Zukunft: wer verzagt, der hat sein Theil hin und trägt es immer mit sich herum – nämlich in den Hosen. Wenn ich erst einmal verzage, dann – leb wohl, Welt! Besser todt als lebendig! – Lieber Bruder, – sollten die Dinge bleiben, wie sie sind, und Du wirst einmal pensioniert, so laß Dich bei uns in der Schweiz nieder!

Leb wohl für heute! Nimm einen herzlichen Kuß und behalte mich lieb, – was Dir ganz gut steht, – besonders in meinen Augen! Minna grüßt ganz ungeheuer! Leb wohl! und laß bald hören Deinen treuen Bruder

Zürich, 20. November 49.

Richard Wagner.

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