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83. Forster an Sömmering

Wilna, am 1. Julius 1786.

Einzigster geliebtester Bruder! Dein Brief vom 11. Junius war mir, wie immer, ein göttliches Fest. Niemand, wenn ich bloß meinen Schwiegervater ausnehme, der immer wesentliche Briefe schreibt. Niemand von meinen Bekannten leistet mit Briefen was Du leistest. Ich erwarte sie immer mit Ungeduld und verschlinge jede Zeile mit unendlicher Erquickung und unaussprechlichem Sehnen nach der Wiedervereinigung.

... Was Du fürchtest, daß der Genuß eines Weibes bald geschmacklos werden könne, ist eine eitle Besorgniß, sobald auf etwas anderes als sinnlichen Genuß gerechnet werden kann. Man will ganz vereinigt sein mit dem, was man liebt, und mit dem man sich so übereinstimmend, so gleichfühlend und gleichdenkend fühlt; man wird angezogen, und körperliche Kräfte vereinigen sich mit den geistigen (wir verstehen uns wohl bei dieser Unterscheidung, die bloß dem Sprachgebrauch gemäß ist) zu demselben Zweck. Das ist Liebe und ihre Wirkung. Allerdings fällt dies weg, wo Liebe, wo Hochachtung, Übereinstimmung, wo Geistes- und Verstandeskräfte fehlen. Allein ich kann mir diese Lage nur dunkel denken. Ich gewinne mein Weib täglich lieber und werde jetzt von ihr mit einer Zärtlichkeit geliebt, die mich entzückt, weil sie Folge der Erfahrung ist, weil sie eine vollständigere Kenntniß meines Herzens und richtige Schätzung desselben zum Grunde hat. Oft sagt mir Therese, sie habe keinen Begriff gehabt, daß ein Mensch so gut sein könne, dies ist mir große Beruhigung, denn Du weißt, ich hielt meine Freunde alle für partheiisch, weil ich glaubte, sie sähen mich nicht in der Nähe genug und nicht anhaltend genug, um mich ganz richtig zu beurtheilen. Ein Zeuge, der immer um mich ist, und jede meiner Handlungen ohne Ausnahmen sieht, ist ceteris paribus der unverdächtigste. Wenn Du demnächst aber behauptest, Freundschaft könne Dir nicht durch ein Weib ersetzt werden, so ist dies sehr richtig, insofern man annimmt, daß Männerfreundschaft und eheliche Liebe von verschiedener Art sei. Mein Weib ist sicherlich eben so großer Aufopferung für mich fähig, als ein Mann; sie sieht die Welt, die Menschen und ihre Meinungen so frei von Vornrtheil an, schätzt den Werth der Dinge so richtig, wie wir es immer thun können; sie weiß vieles, was ich nicht weiß, und ich weiß vieles, was sie nicht weiß; schwerlich aber weiß einer was der andere nicht fassen könnte. Gleichwohl ist zwischen uns nicht reine Freundschaft das Band, sondern es ist Liebe; und diese glaube ich, ist es im Grunde immer zwischen Personen von verschiedenen Geschlechtern, wo das Alter sie nicht erstickt. Diese benimmt also dem Umgang allemal einen großen Theil seines Ernstes und setzt Liebkosung und Zärtlichkeit an seine Stelle; daher gewinnt der Verstand von diesem Umgange immer nur einseitig, nämlich von der Seite, wo er an Gefühl und Erfahrung grenzt, nicht von Seiten der Abstraktion und tiefen Nachforschung; denn das andere Geschlecht scheint doch im Grunde mehr Reizbarkeit, folglich seineres und weniger trügliches Gefühl zu besitzen; uns geht dieser Sinnn oder dieses Instinctmäßige mehr ab, und wir bildern daher weniger, sondern abstrahiren mehr. Insofern hast Du also recht, daß Liebe nicht an Freundschaft reicht, oder wenigstens nicht für Männerfreundschaft ganz schadlos hält, in sofern es einem nämlich nicht gleichgültig ist, für seinen Kopf zu sorgen oder nicht; und man sage, was man wolle, so vollkommen sorgt man doch nicht für den Kopf, wenn man es nicht in Vereinigung der Kräfte mit einem Freunde thut; denn nur dieser ist unpartheiischer Richter des Fortschritts und zugleich theilnehmender Beförderer desselben. –

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