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316. Hoffmann von Fallersleben an Rudolf Müller in Holdorf i. M

Bingerbrück, 27. April 1851.

Mehrmals habe ich Eure letzten Briefe gelesen. Ich hatte sie ruhen lassen, um sie später zu beantworten, weil ich mir dachte, es würde mir dann vielleicht das vollständige Verständnis Eurer Klagen kommen. Ich habe sie nun eben wieder gelesen und muß gestehen, daß ich für etwas so Unbestimmtes keine Teilnahme gewinnen kann. Mein Herz sucht ein Etwas, woran es sich in seiner Freude und seinem Schmerz festklammern kann. Wie aber wäre ein solches aus allem, was Du schreibst lieber Rudolf, zu finden? Warum sagst Du mir nicht, was Dir fehlt, was Dich drückt? Es würde mich vielleicht beruhigen, es würde mich bereit finden. Dich zu trösten. So aber lässest Du mich ohne alle nähere Mitteilung. Du sprichst von einem Unglück, sagst aber nicht, was für ein Unglück. Ihr seid doch wohl und munter! Ich kann nur ebenso allgemein schreiben, daß es mich betrübt, wenn Du leidest.

Wir armen Sterblichen haben alle unser Päckchen Last zu tragen. Aber das bißchen Leben ist doch süß und birgt in sich manchen köstlichen Schatz, den wir freilich oft nur mit Geduld, Mut und Ausdauer heben können. Dir ward bereits gar manches Schöne zuteil, und Du müßtest sehr undankbar sein, wenn Du das nicht heute noch anerkennen wolltest, wie manche Erinnerung an jene schöneren Stunden, jene glücklicheren Tage müssen Dich Lügen strafen. Warum soll das Verlorene nicht wiederkehren? Wenn wir uns selbst aufgeben, dann freilich ist alles verloren. Du aber bist jung, kräftig und Dir eines redlichen Strebens und männlichen Willens bewußt – trag das Unvermeidliche, suche das Schlimme abzuwehren und zu besiegen, mit männlichem Mute und fester Hoffnung, freue Dich des Guten, das Dir der Augenblick schenkt, fürchte die Zukunft nicht, und sieh das Leben nicht gar so düster an! Du hattest früher einen heiteren Sinn, und es bewährte sich an Dir, was Tasso so schön sagt:

Wir Menschen werden wunderbar geprüft:
Wir könntens nicht ertragen, hätt' uns nicht
Den holden Leichtsinn die Natur verliehn.

Warum nun aber jetzt auf Einmal diese Klagen, diese trostlose Stimmung? Reuevollen Schmerz können wir doch eigentlich nur haben über das Schlimme, was wir selbst verschuldeten, was wir hätten abwehren können. Missest Du Dir die Schuld zu, daß andere sterben und verderben, daß Millionen nicht so glücklich sind, wie Du sie gerne sähest? usw.

Auch ich könnte klagen über gar vieles Ungemach, über mancherlei aus der allerneuesten Zeit, worüber sich wol klagen läßt, aber ich tue es nicht. Ich suche zu vergessen und baue mir immer von neuem wieder auf, was mir zertrümmert wird, und freue mich, daß ich selbst auf den Trümmern meiner Hoffnungen noch Mut und Lebenslust behalten habe.

... es quält mich zu sehr, Dich unglücklich zu wissen und doch nicht zu wissen warum.

Erfreue mich bald, recht bald in Neuwied mit einem frohen langen Briefe! Alle grüßt herzlich Dein

H. v. F.

*


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