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150. Goethe an Herder

Mir gehts wie Dir, lieber Bruder. Meinen Ballen spiel' ich wider die Wand, und Federballen mit den Weibern. Dem Hafen häuslicher Glückseligkeit und festem Fuße in wahrem Leid' und Freud' der Erde wähnt' ich vor kurzem näher zu kommen, bin aber auf eine leidige Weise wieder hinaus ins weite Meer geworfen.

Herzlich Dank für Deines Buben Schatten! Das ist ganz Dein Gesicht! ganz! ganz! in unglaublicher Determination. Ich fördere mit innigem Shandysmus mit an Lavaters Physiognomik. Ich habe Deine Bücher kriegt und mich dran erlabt. Gott weiß, daß das eine gefühlte Welt ist! Ein belebter Kehrigthaufen! Und so Dank! Dank! – – – Ich müßt all' die Blätter voll Striche machen, um den Uebergang zu bezeichnen und doch – – Wenn nur die ganze Lehre von Christo nicht so ein Scheinding wäre, das mich als Mensch, als eingeschränktes bedürftiges Ding rasend macht, so wär' mir auch das Object lieb. Wenn gleich Gott oder Teufel, so behandelt, mir lieb wird; denn es ist mein Bruder. – Und so fühl' ich auch in all Deinem Wesen nicht die Schal' und Hülle, daraus Deine Castor's oder Harlekin's herausschlüpfen, sondern den ewig gleichen Bruder, Mensch, Gott, Wurm und Narren. – – Deine Art zu fegen – und nicht etwa aus dem Kehrigt Gold zu sieben, sondern den Kehrigt zur lebenden Pflanze umzupalingenesiren, legt mich immer auf die Knie meines Herzens. Adieu. Ich geh' fort auf ewige Zeit zu meiner Schwester. Ade. Grüß' dein Weiblein. – Ich tanze auf dem Drathe, fatum congenitum genannt, mein Leben so weg! Von meiner Frescomalerei wirst ehstens sehen, wo Du Dich ärgern wirst, gut gefühlte Natur neben scheußlichem locus communis zu sehen.

Fiat voluntas!

(Frankfurt im Mai 1775.)

Goethe.

*


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