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231. Runge an Böhndel

Den 19. Mai 1802.

Mein liebster Böhndel, Du mußt es mir durchaus nicht anrechnen, wenn ich in meinem letzten Briefe etwas in Rückhalt zu haben geschienen habe. Die Umstände – in welcher Stimmung uns ein Brief trifft, – thun das meiste. Wohl habe ich etwas im Rückhalt, nur nicht gegen Dich. Der Schmerz ging mir derzeit an die Seele, und den soll ich verbeißen! Nimm mir es nicht so strenge, daß ohne meinen Willen doch etwas hineingekommen ist wider Dich. Ich bin Dir von ganzem Herzen gut, das weißt Du – und wenn Du nun in solcher Stimmung mich triffst und sagst dann: »Nun glaubst Du es erst?« – Lieber Schatz, einem, der geschunden ist, thut jedes rauhe Lüftchen weh. Ich für mein Part halt' es für überflüssig, Dir erst zu sagen, wie gut ich Dir bin, weil ich glaube, das verstände sich von selbst und darüber wären wir ganz einig. Dir in Deiner Lage ist es nun Bedürfnis, es zu sagen, das weiß ich und bitte Dich recht herzlich um Verzeihung, daß ich das nicht bedacht habe in meinem Letzten. – Uebrigens, Lieber, ist es eigen: man kann in der Freundschaft, wenn man von einander ist, nur Schritt halten durch fortwährende umständliche Correspondenz; denn sieh', es ist ja natürlich, jeder von uns hat in der Zeit unsrer Trennung für sich fortgelebt und ist fortgeschritten; wie weit, das wissen wir nicht, und ob unsre Wege nicht vielleicht ganz verschieden sind. Hierüber müssen wir nun bey unsrer Zusammenkunft uns erst wieder belehren, wir müssen uns völlig wieder kennen, was nun an uns ist. Machen wir uns während der Zeit, ehe wir das gethan, gründliche Erklärungen über den Gang unseres freundschaftlichen Verhältnisses, so sieht jeder von seinem Standpunct auf den andern und versteht ihn nicht, weil er den des andern nicht kennt, und alles kann in Verwirrung kommen. Sieh', daher möcht ich mich lieber gar nicht auf jene Weise eher erklären, besonders weil ich von uns Beiden mich wohl am meisten verändert habe und mich nicht gut in die Zeit zurückversetzen kann. – Ich hoffe, Lieber, daß in diesem allen nichts ist, was Dich beleidigen kann; wenigstens ist das so wenig meine Absicht, als Dich jemals mit Gleichgültigkeit zu betrachten.

Es kommt Dir vor, als wenn in meinen Briefen überall ein ernsthafter und trauriger Ton durchschiene! Das ist auch so, und wie weit dies bisweilen geht, davon mag Dich beykommendes Lied, das ich neulich gemacht, belehren. O, mein Liebster, es ist gräßlich, was man sich selbst mit lachendem Munde quälen kann, und doch möcht' ich nicht um alles diese Quaal missen, denn in ihr liegt auch wieder das höchste Glück! Glaube nur, Alle, die sich und Gott und ihre Geburt verfluchen, sie gehören eben so nothwendig mit in den Zusammenhang des Ganzen, wie die höchst Fröhlichen. Es kommen in solchen Menschen auch wieder Augenblicke, die all' den bodenlosen Schmerz überwiegen. Von außen übrigens wirst Du mich nicht verändert finden, da bin ich noch immer munter; ich halt' es für überflüssig, seinen Schmerz auch noch zur Schau herum zu tragen, es ist ja genug, wenn man ihn hat.

... Es drückt mich Sehnsucht und Ungeduld bisweilen Wochenlang und ich quäle mich, bis ich zum Weinen komme, dann bin ich wieder ruhig. Aber stille davon –.

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