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330. Gottfried Keller an Johann Müller in München

Zürich, den 20. Juli 1839.

Mein Freund! – – Gestern bin ich unter einem schrecklichen Donnerwetter in mein einundzwanzigstes Jahr eingezogen. Nun bin ich volle zwanzig Jahr alt und kann noch nichts und stehe immer auf dem alten Fleck und sehe keinen Ausweg, fortzukommen, und muß mich da in Zürich herumtreiben, während andere in diesem Alter schon ihre Laufbahn begonnen haben. Meinen gestrigen Geburtstag habe ich auf eigne Weise gefeiert. Ich saß «ben trüb und verstimmt in meiner Kammer und übersah mein bisheriges regelloses und oft schlecht angewendetes Leben, welches wie ein verdorrter und angehauener Baumstrunk hinter mir im Dreck lag, und guckte neugierig in meine Zukunft, welche wie ein unfruchtbarer Holzapfelbaum ebenfalls vor mir im Drecke stund und mir durchaus keine erfreulichen Aspekten gewähren wollte; also in meiner Kammer saß ich und hegte grämliche Gedanken. Da dacht' ich: was frommt dir das Grübeln und Murren? Du mußt hinaus und Deinen Jahrestag feiern mit Glanz und Freude.

Und auf sprang ich und nahm Mütze und Stock; wie ich aber in meine Tasche griff (und ich da unter Feuersteinen und abgerissenen Knöpfen bloß einen rostigen Batzen vorfand), da schwamm aller Glanz und Schimmer wieder in einen nichtigen stinkenden Rauch, und sank ganz mechanisch und langsam wiederum in meinen Sorgenstuhl zurück. Da wäre es mir bald weinerlich im Herzen geworden; von allen meinen Bekannten hatte sich heut kein einziger sehen lassen; denn wo kein Geld ist, da gibt's auch keine Freunde, das ist ein alter Satz, und ich mußte also meinen Geburtstag mit durstiger Kehle und niedergeschlagenem Herzen in meinem Kämmerlein versitzen.

So klebte ich auf meinem Sessel und schnitt jämmerliche Gesichter gegen meine Staffelei, auf welcher die große Linde im Schützenplatz angefangen stand, als der Föhn einige Wolken über die Sonne jagte und ein Gewitter verkündigte. Plötzlich stach ein wunderlicher Gedanke durch meinen Kopf, und ich sprang zum zweiten mal auf, die Treppe hinunter und hinaus über die Sihlbrücke und hielt nicht an, als bis ich oben auf der Spitze des Ütliberges stand. Dort setzte ich mich unter den großen Felsen am »Leiterl«, stopfte etwas ruhiger meine Pfeife und fing mit langen majestätischen Zügen an zu rauchen, daß ich hinter dem Dampfe die Ferne nicht mehr sah. Unterdessen hatte sich der Himmel ganz mit Gewölke überzogen; nur gegen die Alpen hin war es noch offen, obgleich dunkel. Bald begannen die Blitze sich zu kreuzen, und der Donner stimmte seine untersten Baßsaiten an zum bevorstehenden Konzerte. Ich merkte schon, daß ich nicht vergebens da hinauf gerannt sei, und freute mich inniglich auf das Schauspiel, das sich jetzt wirklich mit aller Pracht vor mir eröffnete. Rings um mich her breitete sich die weite Ferne aus, vom Gewitter verdunkelt, und nun denke Dir den göttlichen Anblick, wenn der rote Blitz auf ein Mal die ganze finstere Landschaft erleuchtete, so daß man einen Augenblick lang tief in die glühenden Schneeberge und Gletscher hineinsah und nördlich durchs ganze Limmatthal hinunter und ins Rheinthal hinüber alle die Kirchlein und Dörflein glänzend im rötlichen Lichte, bis wieder plötzliche Finsternis alles bedeckte; und dann im Vordergrund die krachenden Eichen und Fichten und die schwarzen Nagelfluhmassen, unter denen! ich saß. Ich sage Dir, es war ein himmlischer Anblick, und ich hätte mir diese Stunde um 100 Maß Bier nicht abkaufen lassen.

Das Gewitter ging vorüber; die Sonne stach blutrot noch ein Mal durch Wolken hervor und sank dann hinunter, und ich humpelte ebenfalls wieder zufrieden und glücklicher, als ich gehofft hatte, den Berg hinunter. So habe ich diesen Tag gefeiert und mache Dir die Beschreibung davon, auf die Gefahr hin, daß Du mich als ein Kamel auslachst.

Lebe wohl und sei solid!

*


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