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203. Schleiermacher an Brinkmann

Drossen, d. 8. August 1789.

Ich schreibe an einen guten Freund in H(alle), und es wird mir unmöglich nicht auch ein paar Zeilen an Selmarn mit einzulegen; ich bin verreist gewesen und bei meiner Zurückkunft zu meinem großen Leidwesen vernommen, daß aus einem Versehn meines kleinen Vetters mein lezter Brief an Dich einen Posttag liegen geblieben ist, wovon Du mir also die Schuld nicht beimessen mußt. Wo ich gewesen bin? In Landsberg an der Warthe, um einige Verwandte zu besuchen, und ich habe da einen Schaz gefunden, von dem es mir leid thut, daß ich ihn nicht mit Dir theilen kann. Es ist ein Pretiosum von der Art, die Du sehr liebst, und würde Dir eine abgegangene Stelle – wie mir scheint – vollkommen ersezen. Meine Cousine ist ein junges Weib von so großen Vorzügen, daß ich mich nicht enthalten kann, ein paar Worte von ihr zu sagen. Auf den ersten Anblick imponirt sie mehr, als daß sie an sich zöge; aber wenn man Gelegenheit hat, ein Gespräch mit ihr zu entamiren, so entdeckt man augenblicklich einen so reichen Vorrath von Bonsens, und von jenem liebenswürdigen Wiz, den uns Wieland an seiner Musarion bewundern läßt, daß man sich nicht wieder losreißen kann; sie spricht viel und Alles was sie spricht ist Verstand; mit viel Belesenheit verbindet sie einen sehr seinen Geschmack. Von den interessantesten Gesprächen kann sie, wenn es die Gelegenheit erfordert, zu den alltäglichsten Dingen Übergehn, ohne daß es sie genirt. Sie unterrichtet ohne es zu wissen, und gefällt überall ohne daß sie es zu wollen scheint; sie ist die Seele jeder Gesellschaft, und jedermann bemerkt dies außer sie selbst. Sie ist munter ohne ausgelassen, und offen ohne auffallend naiv zu seyn. Geselligkeit und geselliges Vergnügen scheint ihr über alles zu geh'n; ich gehe gern mit Menschen um, sagte sie mir, aber es müssen keine Puppen seyn; sie müssen sich sehen lassen, sonst ist mir meine Eremitage und ein gutes Buch lieber. Sie hat eine kleine Verachtung gegen die Franzosen, aber alles Englische liebt sie enthusiatisch. Die tiefe Art zu empfinden und die Freiheit muß eigentlich das seyn was sie an ihnen bewundert, denn die Schweiz ist eben so der Gegenstand ihrer Anbetung (N. B. nicht Lavater.) Zu diesem Innern schickt sich das Äußre vortrefflich, – denke Dir eine große, schön gewachsene Blondine –, ein reizendes Gesicht, die Haare vorne bis an die Augenbraunen gekämmt und hinten ganz natürlich über Rücken und Schultern herabhängend. Ebenso einfach ist ihre Kleidung. Ich sehe sie meistens in einem langen weißen Kleid mit einer breiten himmelblauen Scherpe über den Hüften zugebunden, oder in einem ganz kurzen Korset von Lilla oder Seladon. Ich bin weitläufiger geworden als ich wollte und sollte. Das Beste ist, daß meine Beschreibung schlecht genug ist um Dir nicht den hohen Begriff zu geben, den sie verdient. So viel ich aber das Glück und die Geschicklichkeit gehabt habe, sie kennen zu lernen, glaub' ich daß sie sich in den Kreis Deiner Damen eben so gut schicken würde, als sie verdiente darin zu steh'n. Es scheint, daß sie um glücklich zu sein weder beherrscht werden muß wie Auguste, noch herrschen wie Elise. Mit ihrem Mann freilich macht sie was sie will, und das ist nichts Besonders, aber mit ihren Freunden und Freundinnen scheint sie auf sehr gleichen Fuß umzugehn, – sie ist weder allzu gefällig noch allzu eigensinnig. Sie würde am besten ihren Platz neben der Agnes und der Reinholdin behaupten. An leztere kann ich jezt, mit Deiner Erlanbniß, nicht ohne ein kleines Lächeln auf Deine Unkosten denken; ich vermuthe stark, daß die trostreiche Unterredung mit ihrem Gemahl über die dumme Epistel Dir den schönen Plan gänzlich verrückt haben wird, den Du vorläufig über die Art, der Reinholdin die Selmariana zu übergeben, entworfen hattest.

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