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158. Goethe an Friedrich Heinrich Jacobi

14. August 1775.

»Ich träume, lieber Fritz, den Augenblick, habe Deinen Brief und schwebe um Dich. Du hast gefühlt, daß es mir Wonne war, Gegenstand deiner Liebe zu sein. – O das ist herrlich, daß jeder glaubt, mehr vom andern zu empfangen, als er gibt. O Liebe, Liebe! Die Armuth des Reichthums! – Und welche Kraft wirkt's in mich, da ich im andern alles umarme, was mir fehlt, und ihm noch dazu schenke, was ich habe. Ich habe vorige Nacht auf'm Postwagen durch Basedow's Grille gesessen. Es ist wieder Nacht. – Glaub' mir, wir könnten von nun an stumm gegeneinander sein, uns dann nach Zeiten wieder treffen, und uns wär's, als wären wir Hand in Hand gangen. Einig werden wir sein über das, was wir nicht durchgeredt haben. Gute Nacht! Ich schwebe im Rauschtaumel, nicht im Wogensturm; doch ist's nicht eins, welcher uns an Stein schmettert? – Wohl denen, die Thränen haben! – Ein Wort! Laß meine Briefe nicht sehn! Versteh'! – Erklärung darüber nächstens, wenn's braucht!

... Ging auf und nieder den ganzen Morgen, dir allein meine ganze Seele, drinnen zu schalten und zu walten nach Wohlgefallen. Wie du in mir wirkst so gewaltig! Du hast wohl nie dergleichen erfahren. Thue ferner Gutes und Großes an mir, auch um dein selbst willen, damit du nicht dereinst zu seufzen habest: Barden werden von meinem Namen erzählen, die Steine werden von mir reden, aber du, du bist in der That danieder. – Bald wird dein Grabmal bedeckt werden und das Gras geil auf deinem Grabe emporwachsen. Die Söhne der Schwachen werden darüber hingehn, und nicht wissen, daß ein Mächtiger dort liege.

 

... Da bin ich zurück! Ich war hinausgegangen anzubeten; habe angebetet, gepriesen mit süßen, wonne-vollen Thränen den, der da schuf dich, deine Welt und für eben diese Welt den glühenden, kräftigen Sinn in mir. Gleich beim Erwachen heute früh fuhr mir über's Angesicht der Schauer, von dem du weißt, wie er hinabzittert, eindringt, zum auflösenden Leben wird im Busen, und den ganzen Erdensohn tödtet. – Tod, schöner, himmlischer Jüngling! Der endliche Geist wird immer bedürfen, immer streben, erringen, sammeln und verzehren: aber wenn er nun einen Augenblick den diesseitigen Grenzen entrissen wird, von den jenseitigen noch keinen Drang fühlen kann und im seligen Genuß allein sein Dasein hat – o der unnennbaren Wonne! Wie er da so herrlich schwebt, der Liebende, ein Theil des Allgenugsamen, alles selbständig, alles ewig mit ihm und er ewig in allem! – Ich habe »Werther's Leiden«, und habe sie dreimal gelesen. Dein Herz, dein Herz ist mir alles. Dein Herz ist's, was dich erleuchtet, kräftiget, gründet. Ich weiß, daß es so ist; denn auch ich höre die Stimme, die Stimme des eingeborenen Sohns Gottes, des Mittlers zwischen dem Vater und uns. Meine Seele ist zu voll, Lieber, alles unaussprechlich: drum für heut Adieu!

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