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63. Wieland an Gleim

Erfurt, den 21. Oktober 1771.

Mein bester Gleim, können Sie Ihrem Wieland, der das edle vortreffliche Herz seines Gleims – nicht mißkannt – nur in einem unglücklichen Augenblicke – aus dem Gesichte verloren, Ihren Wieland, der Sie von ganzem Herzen liebt und hochachtet, der keinen Augenblick aufgehört hat, noch aufhören kann, Sie zu lieben, der in der unseligen Stunde, da er Ihr gutes freundschaftliches Herz in der ungestümen Hitze des seinigen verwundete, ebenso wenig als in diesem Augenblicke fähig war, seinen Gleim kränken zu wollen, – können Sie, können Sie ihm vergeben? Können Sie es, bester Freund, können Sie ihn wieder lieben. Ihn mit der Empfindung, daß sein Herz unschuldig an dem Verbrechen seines Bluts und seiner Einbildung ist, wieder in Ihre Arme schließen – so sehen Sie ihn hier mit thränenden Augen Ihre Kniee umfassen und Sie bey allem, was jemahls Ihrem Herzen theuer gewesen ist, beschwören, zu vergessen, daß es einem feindseligen Dämon gelingen konnte, die schwesterliche Eintracht unserer Seelen nur eine Minute zu stören. Vergessen Sie die unglückliche Scene, vernichten Sie, wenn es nicht schon geschehen ist, den unglückseligen Brief, und geben Sie, bester Gleim, geben Sie dem Herzen Ihres ewig eigenen Wielands die Ruhe wieder, indem Sie ihm sagen, daß Sie in dem Besitz Ihrer Freunde, in der Gewißheit, von ihnen geliebt zu werden, wieder glücklich sind. Guter, rechtschaffener, liebenswürdiger Gleim! Sehen Sie Ihren Wieland an, Sehen Sie Thränen der Wehmuth und Liebe in seinen Augen, reichen Sie ihm Ihre Hand, und lassen Sie uns – lassen Sie uns wieder glücklich seyn!

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