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109. Miller an Kayser

Ulm, d. 24. Sept. 1775.

Lieber theurer Kaiser!

Du hast mir durch Deine beyden herrliche Briefe und die damit folgenden Geschenke unendlich viel Vergnügen gemacht. Tausendfachen herzlichen Dank dafür. Warlich ich liebe Dich von Herzen und unsre Seelen sind vereint. Göthe und Stolbergs freuen mich unendlich. Dich und sie und Klopstock will ich unter Glas fassen und aufhängen, das sollen meine Heilige und Schutzpatronen seyn. Dein Lied an Nelly hat mir nicht gantz gefallen; ich weiß selbst nicht recht, warum? Es dämmert mir nur, wenn ichs lese und ich möchte Licht sehen. Die Empfindung ist vielleicht zu ungewöhnlich und zu schwärmerisch, ob ich das schwärmerische gleich sonst sehr liebe. Ich red als Freund und entschuldige also meinen Tadel nicht. Unendlich mehr haben mir Deine zwey neuen Lieder gefallen, sie fassen mein gantzes Herz an und schmeltzen dann wie Thautropfen drein. In der Gefangennehmung ist erstaunlich viel Simplicität und Unschuld oder wie ichs nennen soll. Kurz es ist herrlich. Das zweyte ist groß und hat eine erhöhte Empfindung, die auch die Empfindung des Lesers mit erhöht. Die letzte Strophe hat mich am meisten an sich gezogen, sie ist so wahr und mein Herz hat ihre Warheit schon ein paarmal erfahren.

Wo ist der heilige Gewinn
Auf dieser Liebesbahn
Wo ist des Kämpfers Freudenziel
Des Siegers Ehrenkron
Auf, Herz, noch sind der Proben viel
Trag schönen Tod davon!

Das ist überherrlich Kayser und ich drück Dich dafür an mein treues Brüderliches Herz, das auch nach schönem Tod ringt, wenn des Siegers Ehrenkron mir hier nicht winken will. Sey versichert, daß alle Lieder, welche Du mir schikst, mir ins Herz geschrieben und vor unheiligen Augen verwahrt seyn sollen. Zwey Freunde hab ich hier, die Dich auch ehren und von deren Treu ich überzeugt bin, denen hab ich die Lieder vorgelesen. Wenn Dirs mißfällt, so laß' ichs künftig. Schubart ist keiner von den beiden. Stolbergs Freyheitsgesang sollst Du bald wieder bekommen, wenn er mir ihn auch nicht gleich schikt. Ich weiß ihn bald vollends auswendig. So aufbrausend wie Du, war ich auch noch vor kurzer Zeit; nun habe ich meiner Seele mehr Festigkeit und Stetigkeit gegeben. Man muß sie in dieser Welt haben, wo alles so bunt durch einander geht. Schleuß die Flamme, die in Dir lodert ein; laß sie gereinigt werden, daß sie dann zu seiner Zeit aufbraus in einem Werk die Welt und Nachwelt erhitzt und heiß erhält. Du hast recht, Ewigkeit ist an sich nichts, aber so, wie ich wünsch, jetzt im Herzen meiner Freunde zu leben, so wünsch ich auch nach meinem Tode noch durch Würkungen in den Herzen meiner Enkel fortzudauren und ihnen lieb zu seyn, weil ichs treu mit ihnen meynte. Deßwegen muß man drucken lassen, wenn uns etwas Großes aus der Seele gefallen ist, Kleinigkeiten streut man aus, wie Blumensaamen, die einen Sommer über blühen und doch auch manches Herz erfreuen. Ich nehm Dich an, wie Du bist und wünsch Dich auch jetzt nicht anders. Der gut ist, ist immer gut und auf verschiedene Art. Theil mir ganz Dein Herz mit, so wie ich. Wir werden beyde gut fahren. Wenn wir uns sehen, weis ich nicht, mags auch noch nicht wissen. Aber sehen werden wir uns doch! Denk bey Klingers Porträt oft an mich! Unsere Seelen sind verwebt, wie unsere Gesichtszüge und gehören Dir an. Grüß Nelly einmal, wenn sichs schikt! Sag, daß ich sie um Deinetwillen schätze und von ihr geschätzt zu sein wünsche! Ich bin jetzt nicht gantz froh. Uebermorgen muß ich einen Brief schreiben, von dems abhängt, ob das Mädchen das ich am meisten auf der Welt schätzen muß, mein seyn soll? Ihre Seele hoff ich, ist mein; aber was thun nicht Umstände auf der Welt. Behalt das vor Dich! Ich schrieb Dir eilig und kürzer, als ich wünschte. Uebermorgen examinirt man mich, ob ich hier Kandidat werden soll? Ich muß zur Vorbereitung allerley Scholastisches Zeugs durchlesen. Wenn ich frey bin, schreib ich ausführlicher. Von Stolberg weiß ich gar nichts. Wagner – der seiner Umstände wegen aus Frankfurt weg, wohin? weiß ich nicht, ging, schreibt mir, vor einiger Zeit seyen sie in Marschlins bei Salis gewesen. Ich und Goethe haben uns kaum halb kennen lernen. Kürze der Zeit und Umstände brachten uns nicht gantz zusammen. Ich glaub Dir, daß er so groß ist und schätz ihn desto mehr. Klinger schrieb mir und klagte, daß ich ihm nicht schreibe. Damals war aber schon ein Brief an ihn unterwegs. Jetzt ist er bei Goethe. Er hat mir wieder eine außerordentliche Scene aus seinem Pyrrhus geschikt. Das wird ein Werk! Auch schreibt er, daß er ein gantz regelmäßiges Stück fürs Theater geschrieben hat: Die Zwillinge. Vermuthlich schickt ers an Ackermanns nach Hamburg. Leißewitz, ein Freund von uns, hat auch ein sehr braves Stück hin geliefert. Es freut mich, daß ich Lenzens Liebe habe, meine hat er längst. Seine Reisen sind für die Menschen wichtig. Ich erwarte mit Verlangen auf Deine Liedersammlung. Ich selbst spiele nicht, aber ich liebe die Musik außerordentlich und fühle sie.

Sey wegen Deiner Verse, die Vosz hat unbesorgt. Er schrieb mir, daß sie ihm nicht gantz gefielen. Sie sind ihm vermuthlich zu unkorrekt und hin geworfen. Sonst schätzt er Dich sehr und grüßt Dich herzlich. Die Liebe hat er druken lassen. In der Chronik ist schon, ich weiß nicht durch wessen Vermittelung? das Mädchen und die Liebe und das Nachtopfer im vorigen Jahrgang gedruckt. Du sollst von Vosz das verlangte wieder kriegen. Ich hätts ihm nicht geschickt, wenns Klinger nicht erlaubt hätte. Der Almanach soll bis auf 2 Bogen fertig und sehr gut seyn. Vosz hat bey 1500 Subskribenten. Claudius schrieb mir, das ist gar ein lieber Mann. Er schreibt den Boten nicht mehr. Ich sollte von ihm ein Exemplar seines Asmus etc. an Lavater schiken. Nun schreibt er mir, daß Lavater schon eins habe. Ein Lied hab ich seit der Zeit nicht gemacht. Mein Genie hab ich geforscht, vermuthlich bin ich auf der Spur. Etwas großes hab ich schon angefangen. Wenns fertig ist, bekommst Du's. Aber beobachte bey der gantzen Sache die größte Verschwiegenheit, sie ist schlechterdings nötig und keiner, der nicht mein vertrauter Freund ist, darf was davon wissen. Nicht einmal meine andern Freunde wissen jetzt davon.

Mit Schubart geh ich um, aber nicht sehr viel. Er hat viel herrliches in sich, kennt sich selber aber viel zu wenig und weiß noch nicht, wo er hinaus soll. Bey ihm wär's einmal Zeit! Aber Weib und Kind bringen einen auf manche Wege, die er sonst nicht betreten hätte ...

Ich will gern brav seyn und schreiben; und lieb hab ich Dich von gantzem Herzen. Das Eloge du feu Mr. Wieland ist mir noch nicht vorgekommen. Vielleicht kriegen wirs hier bald. Du kannst denken, wie ich drauf begierig bin, denn ich kann den Kerl nicht leiden. Vergib mir dießmal, daß ich so gesudelt habe. Noch einmal Tausend Dank für Deine Briefe und die Portraite.

Ganz Dein
Miller.

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