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329. Gottfried Keller an Johann Müller in Frauenfeld

Zürich, den 29. Juni 1837.

Wir betiteln uns ganz freundschaftlichst als Freunde. Nun wirst Du wohl schon in hundert erbaulichen Büchern gelesen haben, wie schwer ein wahrer Freund zu finden sei. Und das ist wahr, die meisten Freundschaften (welche aber manchmal eben so schnell wieder vergingen, wie sie entstanden) beruhen auf gleichartigen sympathetischen Gefühlen, auf enthusiastischen Herzensergießungen und Mitteilungen (welche vielleicht lange verschlossen bleiben mußten und keinen Gleichgestimmten fanden bis diesen Augenblick), auf ähnlichen Neigungen und gleichen Leidenschaften u. s. w. und da sind natürlich zwei solche feurige Jüngelchen, die einander treffen, gleich die intimsten Freunde. Aber wenn man sich dann nur nicht näher kennen lernte. Da findet sich eine schlechte Saite nach der andern an der anfangs so harmonisch gestimmten Geige; man hat sich schon alles gesagt, was man wußte; das Feuer verglimmt und raucht nur noch über den Kohlen; der eine oder der crndere wird etwa arm oder kommt in Verlegenheit und fordert vom andern die Dienste der Freundschaft. Das ermüdet, macht ungeduldig, kurz, ich mag nicht aufwärmen, was Du in alten und neuen Schriften über den Umgang mit Menschen viel besser liesest, als ich es zu sagen weiß. Das gilt aber alles nicht von zwei wahren Freunden. Solche lieben sich nur aus Eigennutz, damit ihr teures Ich einen treuen Freund habe, d. h. sie sollen eigentlich nur ein Ich haben und dieses Ich soll jeder pflegen, unterhalten, wärmen, schützen. Ihre Freundschaft ist also nichts als Eigenliebe, weil jeder seinen Anteil an dem gemeinschaftlichen Ich hat und denselben mit allem Interesse zu befördern sucht. Aber es ist ein göttlicher Egoismus, es ist der nämliche, der das Universum aus unsers Schöpfers Geist hervorrief; und einen Freund, der diesen Egoismus mit mir teilte, würde ich als das höchste Gut der Erde betrachten (wenn sich nämlich nicht noch ein Pendant vom andern Geschlecht daneben schliche). Wir wollen also einander ein wenig auskundschaften und sehen, ob wir uns fügen – nicht so, der Ausdruck ist schlecht – ich wollte sagen in einander schmelzen, prasseln, aufglühen, blühen, den Himmel über uns röten und mit einander in Asche zusammenfallen können. Wir würden dann leben, wie zwei Wesen, die einen unzerteilbaren Diamant ein köstliches Gut besäßen, für dasselbe geboren würden, für dasselbe lebten, stritten, litten, für dasselbe sich freuten eineS im andern und für dasselbe zu gleicher Zeit stürben. Doch ist es auf der andern Seite auch wieder erhaben, so ganz allein, ohne Freund, in dunkler Tiefe hienieden durchs Dasein zu wandeln, die heilige Flamme in verschlossener, von außen schwarzer, doch innen feuerheller Brust zu schüren und rein und unentweiht mit hinüber zu nehmen ins unnennbare Jenseits; aber ich glaube mich kapabel, einem Freunde Freund zu sein und würde die Gelegenheit also nicht verschmähen, aus Liebe für den Nächsten.

Ich habe Dir noch was zu sagen. Du schreibst: »Mit den Thränen, die ich hier schon geweint habe, könnte man ein paar Sommerhosen waschen«. Schämst Du Dich denn nicht ins innerste Mark hinein, das zu sagen! fi! weinen – weinen! fi donc! Einer, der ein Mann werden will, der das Menschengeschlecht verachtet, spricht von weinen! Wenn das zehnte Jahr vorbei ist, so sollte der Mann sein ganzes Leben hindurch nicht mehr so viel Wasser vergießen, daß eine Fliege darin ersaufen könnte, weder aus Ärger, noch aus Gefühl u. s. w. Nicht, daß das Auge eines Helden sich nicht netzen dürfe; aber das sind seltene Fälle und köstliche Augenblicke. Wenn unaussprechlicher Gram um ein verlornes Seelengut, wenn bittrer Ärger über der Menschen Verworfenheit, erfahrner Undank, die Qual, seine hochfliegenden herrlichen Pläne nicht erfüllen zu können, seine glühende Gedankenfülle erdrücken und verschlucken zu müssen, wenn noch hundert andere Feinde vereint auf des Mannes oder des Jünglinges Brust einstürmen: Dann kann eine schwere Thräne den Weg zum Lichte finden. Wie pocht's dann mit lauten Schlägen an die Rippen, wie preßt's das Herz! Ein Zentner liegt auf ihm. Wie brennt's und kocht's und sprudelt und siedet es in der hohen, doch so beklemmten Brust, daß die Flammen hoch aufschlagen und die Hülle zu sprengen drohen! Starr wie ein Fels steht der Mann, aber das innere Feuer zehrt an ihm. Heiß wallt's hinauf, höher und höher aus dem zerknirschten Herzen, heiß wird die Wange, rot die hohe Stirn, und heiß dringt eine feuchte volle Zähr' ins finstre Auge. Betroffen will er sie zerdrücken, aber sie fließt schon hell die Wange hinunter. Verstohlen, wie wenn ein Mädchen den ersten Kuß verlor, wischt er sich das Aug'; aber mit der Thräne ist aller Jammer ausgezogen. Leicht und flüchtig atmet er, mild glimmt's noch im ausgebrannten Busen; eine düstre, doch weiche Melancholie haust noch in der verlassnen Brust und gibt dem Dulder den schönen großen Blick, der den Schurken zu Boden drückt. Solck, eine Thräne ist göttlich und der Moment unschätzbar zu nennen; aber der Name weinen bleibe fern von ihr! Denn nur das Weib darf weinen, oder der Thor, oder der Bösewicht. Ich bitte Dich also, Dir das Weinen abzugewöhnen, sonst ersaufen Deine edlen Gedanken in der trüben Flut.

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