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334. Richard Wagner an Franz Liszt

Mein theurer Freund!

An Dich muß ich mich wenden, wenn mir das Herz einmal wieder aufgehen soll, und ich habe Herzstärkung nöthig, das leugne ich heute nicht. Wie ein recht verzogenes Kind der Heimath rufe ich aus: ach, säße ich daheim in einem kleinen Hause am Walde, und dürfte dem Teufel seine große Welt lassen, die ich im besten Falle gar nicht einmal erobern möchte, da mich ihr Besitz noch mehr anekeln würde als ihr bloßer Anblick es schon thut!

Deine Freundschaft – wenn Du begreifen könntest, was Sie mir Alles ist! Ich habe gar keine andere Sehnsucht, als mit meinem Weibe immer in Deiner Nähe zu sein: nicht Paris und London, Du allem würdest am besten im stände sein, alles Tüchtige, was etwa noch in mir stecken mag, herauszuschlagen, denn an Dir würde ich mich zu dem Besten erwärmen.

Aus Zürich erhieltest Du durch Wolff Nachricht von mir. Die Schweiz that mir wohl, und dort traf ich einen alten Jugendfreund, mit dem ich viel von Dir sprechen konnte: das war Alexander Müller, den Du auch kennst, ein tüchtiger, liebenswürdiger Mensch und Künstler. In Zürich bekam ich denn auch Deinen Artikel über Tannhäuser im journal de débats zu lesen. Was hast Du da gemacht? Du hast den Leuten meine Oper beschreiben wollen, und hast statt dessen selbst ein wahres Kunstwerk hervorgebracht! Gerade wie Du die Oper dirigirtest, so hast Du über sie geschrieben: neu, ganz neu aus Dir heraus! – Wie ich den Artikel aus der Hand legte, waren meine Gedanken zunächst folgende: Dieser wunderbare Mensch kann nichts thun und treiben ohne aus innerer Fülle sich selbst von sich zu geben; er kann nirgends nur reproduktiv sein, es ist ihm steine andere Thätigkeit möglich als die rein produktive; alles drängt in ihm zur absoluten, reinen Produktion hin, und doch ist er immer noch nicht daran gegangen seine Willenskraft zur Produktion eines großen Werkes zusammenzuspannen? Ist er bei seiner vollendeten Individualität zu wenig Egoist? Ist er zu liebevoll, und macht er es wie Jesus am Kreuze, der allen hilft aber sich nicht?

Ach, lieber Freund! mein Gedenken an Dich und meine Liebe zu Dir sind noch zu enthusiastisch; ich habe jetzt immer nur noch auszurufen und zu jauchzen wenn ich an Dich denke: bald hoffe ich so weit zu erstarken, daß ich aus meinem selbstsüchtigen Enthusiasmus auch dazu gelange, Dir meine Sorge um Dich aussprechen zu können: Gott gebe mir dann die Fähigkeit, meiner Liebe zu Dir vollkommen genügen zu können, jetzt zehre ich noch zu sehr nur von Deiner Liebe zu mir, so daß die meinige sich nur ganz untätig in Exclamationen ergehen kann. Ich hoffe, zu dieser nöthigen Kraft gelange ich bald durch den Umgang mit denen, die Dich gleich mir lieben: und wahrlich, Du hast Freunde!! ...

... Dies ist der muthige Theil meines Berichtes: im Uebrigen liegt dieses gräuliche Paris zentnerschwer auf mir; oft blöke ich wie ein Kalb nach dem Stalle und nach dem Euter der nährenden Mutter. Wie bin ich allein unter diesen Menschen! – meine arme Frau! keine Nachricht habe ich noch erhalten, mir wird so todesweichlich und schlaff bei jeder Erinnerung. Laß mich bald gute Nachricht von meiner Frau hören! – Bei allem Muthe bin ich oft die erbärmlichste Memme! Trotz Deiner großherzigen Anerbietungen sehe ich oft mit einer wahren Todesangst auf das Schmelzen meiner Baarschaft nach meiner doppelt langen Reise nach Paris. Mir wird es nämlich zu Muthe, wie damals, als ich vor zehn Jahren hierherkam, und sich oft Spitzbubengedanken meiner bemächtigten, wenn ich die heißen Tage aufsteigen sah, die mir in den leeren Magen scheinen sollten. Ach, was diese gemeinste Sorge den Menschen entehrt!!

Aber eine Nachricht wird alles wieder in mir heben, namentlich wenn man in dem kleinen Weimar mir treu geblieben ist. Eine einzige gute Nachricht, und ich schwimme hoch oben auf in dem Meere!

Mein lieber, herrlicher Freund! nimm mit mir vorlieb, so wie mich nun einmal das abscheuliche Paris aufgeregt hat für heute. Ich danke Dir nicht, aber ich preise Dich selig! Grüße die liebe Fürstin, grüße die kleine Schaar meiner Freunde, und sage ihnen. Du hofftest es würde gut mit mir werden. Bald erfährst Du mehr von mir. Sei glücklich und gedenke mein!

Dein
Richard Wagner.

Paris, 5. Juni 1849.

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