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37. Gleim an Gotthold Ephraim Lessing

Halberstadt, den 31. Aug. 1759.

Gestern war ich ganz stummer Schmerz; heute kann ich weinen. Lesen Sie, liebster Freund, beigehenden abscheulichen Brief von dem Schicksal unsers Kleist's, und weinen Sie mit mir. Er ist vom 15ten; der Ihrige war vom 25sten. Auch hat das Feldpostamt meinen letzten Brief vom 20ten an ihn hieher zurückgeschickt und darauf gesetzt: »Zurück nach Halberstadt; ist in Frankfurt gefangen.« Die letzten Nachrichten also gäben noch eine schwache Hoffnung seines Lebens. Aber, o Gott! hattest Du keinen Engel für einen Kleist? Alle meine Gedanken, ich zittre, sie zu denken, alle sind wider Gott. – Hätten Sie mir doch nur mit einem Worte gesagt, woher Sie wissen, daß er gefangen ist, oder nur gestern eine Zeile geschrieben! Sie wissen ja, was ich verliere, wenn er nicht mehr lebt. Keinen Freund, keinen Bruder, keinen Vater, die ganze Welt verliere ich. – Aber vielleicht sind Sie nach unsrer Armee gereiset. In diesem Falle hätte Herr Sulzer oder Herr Krause mir doch schreiben sollen. Ich bin, weil ich Ihren zwoten Brief abwarten wollte, noch nicht nach Magdeburg gereiset, und nun kann ich vor Betrübnis nicht. Meinen dortigen Bruder aber habe ich aufgetragen, unter dortigen russischen Gefangenen, welche auf dem Punkt stehen, ausgewechselt zu werden, einen Menschen aufzusuchen und ihn zu bitten, der Schutzgott unsers Freundes zu sein. Aber wenn er unter den Zehntausend Tobten begraben wäre! O liebster Lessing, ich kann es nicht denken, die Vorstellung ist mir allzu abscheulich.

Ihr
Gleim.

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