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80. J. C. Kestner an J. G. Jacobi

Liebster Freund!

Unmöglich kann ich es ertragen, daß wir so gar fremd werden sollten, wenn uns gleich ein weiter Raum von einander trennt. Nein, mein liebster Jacobi, ich habe Sie zu sehr hochgeschätzt, zu sehr für meinen Freund gehalten, als daß ich mir dieses Glück nicht zu erhalten suchen sollte. Alsdann habe ich mir doch wenigstens nichts vorzuwerfen. Gute Freunde sind mein größter Schatz auf dieser Welt; es versteht sich, nach meinem Mädchen. So oft ich einen Freund finde, und dieses geschieht nicht alle Tage, so danke ich dem Himmel dafür. Sollte ich sein Geschenk so undankbar verscherzen.

Ich halte es auch für eine Pflicht, seinen Freunden die Veränderungen des Ortes und dergleichen anzuzeigen, weil man ihnen dadurch oft Gelegenheit geben kann, unsrer Dienste sich zu gebrauchen. Wenn Sie es also nicht wissen (wer sollte es für so wichtig gehalten haben, es Ihnen zu schreiben?) so sage ich Ihnen, daß ich seit dem May 1767, in Wetzlar bei der Hannoverischen Gesandschaft, von wegen dem Herzogthum Bremen, Legations Sekretair bin; daß ich mich hier. Dank sey es dem Himmel! sehr wohl, auch vergnügt befinde.

Hier habe ich verschiedene Bekannte von Göttingen her und ein paar Freunde angetroffen; unter diesen war H. Gotter, den Sie in Göttingen gesehen haben. Er hat sich den schönen Wissenschaften vorzüglich gewidmet, und erhielt hier deswegen alle Aufmerksamkeit, so wie er auch besonders den Geschmack an der Theatralischen Dichtkunst hier eingeführt hat, gleich einem andern Orpheus. Wir hatten nämlich vergangenen Sommer und Winter die Lippesche Schauspieler Gesellschaft. Er formierte dieselbe durch Anweisungen, und Wahl der Stücke. Man kannte diesen nützlichen Zeitvertreib nicht nach seinem Werthe. Es dauerte aber nicht lange, so fühlte man ihn; und verlernte den Geschmack an seichten Schauspielen. Sonst, ist das, was das Genie von Schönem hervorbringt, hier in geringer Achtung. Sie werden es unbewiesen glauben, wenn Sie nur daran denken, daß Themis hier einen ihrer berühmtesten Tempel hat. Mich däucht, ich sehe, wie es Ihnen ganz kalt übergeht, indem ich nur erinnere, daß zu Göttingen die Pandecten feyerlich zum Fenster hinaus spatzieren mußten.

Jetzt ist H. Gotter in Göttingen, wo er ein Führer zweyer Barons von Wien ist; doch aber in Sachsen Gothaischen Diensten verblieben.

Meine Absicht, welche ich im Anfange des Briefes geäußert, ist erfüllt. Nun sagen Sie mir zur Vergeltung, daß Sie noch mein Freund seyen; wie Sie leben und sich befinden? Ohne Zweyfel in den Armen der Musen. Haben Sie Kürzers etwas neues verfertigt? Sie haben mir viel zu sagen, wenn Sie meine Neugier Jhret wegen ganz stillen wollen. Behalten Sie mich lieb; der ich mit unveränderlicher Hochachtung und Freundschaft bin der Ihrige

J. C. Kestner.

Wetzlar den 16. Aug. 1768.

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