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236. Brentano an Arnim

(München, i. December 1808).

... Als ich nach Hause kam, mußte ich recht herzlich weinen. Ich fühlte so recht, wie ich Dich liebe. Ich fühlte die ganze Geschichte unserer Freundschaft, wenige bescheidene Händedrücke in Göttingen, Deinen Brief aus München. Du goldnes Herz, wie Du hüpftest und schlugst beim Wiedersehen! wie Du klangst und sangst am Rhein! wie Du Abschied nahmst auf der fliegenden Brücke, da wendete sich mein Geschick und sah in böse Spiegel, der schönste in der Brust war zerschlagen! Dann hast Du in Paris die Stube gemessen, wo mein Bett stehen sollte, und ich fand das Weib wieder, das mich ausgetrunken und an mir gestorben ist. O lieber Bruder, nachher war nichts gutes mehr und nichts konnte schlechter werden. Aber Du hast ein frommes Herz, Du mißhandelst die Tafel nicht, auf der die Hoffnung in Wolkenbildern vorüberzog, und ziehst mit liebenden Händen ihre entflohenen Züge treu in den kühlen Thau, mit dem die Nacht sie bedeckt hat; auch mag Tag und Nacht über mir die Flagge schwingen und senken, denn Du liebst mich noch! über das alles dichte mir ein Lied, das ich verstehen und singen kann, mein Lieber, ich brauche so etwas, um mich wieder zu finden und mich mir wieder selbst zu heiligen, denn ich fühle mich oft unendlich arm. Wenn ich sonst so traurig war über den Irrthum und die naseweise Weisheit, die alle Herzen bricht, so konnte ich die festen Füße Sophiens umarmen, die so rüstig über die Gebährende und begrabende Erde hinwandelten. Mit einem Lächeln, mit einem Ernst siegelte sie meine trauerschwankenden Gedanken. Ich sah sie, sie war bei mir, ich hatte sie in den Händen. Mein Leben war wahr, denn ich hatte es wohl gefühlt, daß ich nicht ohne sie leben konnte, und ich konnte den Schmerz ertragen, viele Sonnen Untergehn zu sehen. Denn sie mußte mir alles sein: ich hatte sie erlebt und erliebet! In unendlichem Schmerz vereinsamt wendete ich mich damals an Bettinen, aber sie konnte mein Leid nicht begreifen und floh mich gleich einer Meduse. Da ward mir Görres wohl heilig, dieses liebe, wilde Sonnenfeuer der treuen Phantasie, aber mein Schmerz war ein Phönix und verbrannte nicht in ihm, er ward jung. Jetzt bist Du allein, Du ohne Selbstsucht, liebe getreue Zeit, Du gehst über mir wie der Tag und die Jahrzeiten, Du geliebter Bruder. Ich sehne mich nicht nach Tagen und Nächten, und nicht nach Frühlingen, sie bleiben mir nie aus, so lang ich lebe oder mein Andenken – und so bist Du, mein Lieber, das bist Du!

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