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200. Hölderlin an Neuffer

[April 1794.]

Lieber Bruder!

Ich glaube die Stunde, in der ich Dir schreibe, ist gerade so eine, wie man sie haben muß, um an Herzensfreunde zu schreiben. Es muß uns ein rechtes Bedürfniß werden, sich eine Seele, die einem eigen angehört, mitzuteilen, und ist's der Mühe werth, zu schreiben.

Es war gar nicht brüderlich von mir, daß ich Dich und mich mit Zweifel und Unglauben plagte, weil Du nicht gleich schriebst. Ich kannte Dich ja. Du hast wol etwas Lieberes, als ich Dir sein kann. Aber darum bleibst Du doch nicht weniger mein, wie Du es anfangs warst, und sein konntest.

Verhältniße des innern und äußern Lebens, unsre Geister und Herzen, wie das Schiksaal, haben einen Bund zwischen Dir und mir gestiftet, der schwerlich je zerreißen kann. Wir lernten uns so ganz kennen, in unsern Schwächen und Tugenden und blieben doch Freunde. Der Zauber der Neuheit ist längst bei uns verschwunden. Die schöne Täuschung, wo man in den ersten Stunden und Tagen des Feindes alles gefunden zu haben meint, da wo man doch nur Etwas finden kann, findet nimmer statt zwischen Dir und mir; und doch blieben wir Freunde.

Wir ringen um Einen Preis, und blieben doch Freunde. Wir verkanten uns, und blieben doch Freunde. Lieber! was wollen wir mer, um zu glauben, dass unser Bund ewig ist und – daß wir keine kleinen Seelen sind?

Es ist sonderbar; ich habe, seit wir uns fanden, so manche Metamorphose in meinem Innern erlitten, so manches, woran ich mit all' meiner Liebe hieng, Ideen und Individuen, die mich damals über alles interessirten, haben ihre Bedeutung für mich verloren, neue Ideen, neue Individuen rißen mich hin, aber Dir ist mein Herz treu geblieben. Ich muß also doch wol nicht so wandelbar sein, wo wahrer Werth mein Herz einmal gewann. Von Deiner Seite wundert mich diß weniger. Dein treuer beharrlicher Sinn ist die Wurzel all' Deines Glüks und Deines Werths. Deswegen ist mirs auch so klar, daß Du einst glüklicher und größer sein wirst, als ich.

Du bist auf den rechten Wege, Bruder! Du läßest die Köpfe der andern in ihrer Erschütterung, und gehest Deinen Gang. Es ist eine große Kunst, interessanten Gegenständen nicht sein ganzes Herz hinzugeben, wenn sie andre, die man schon im Herzen hat, verdringen würden. Diß ist Deine Kunst. Du verschließest keinem Dinge, das schön und gut und groß ist Dein Herz, aber räumst ihm auch nur so viel Plaz ein, als dazu gehört, daß es neben andern bestehen kann. Wohl Dir! Ich wolt', ich könt' es auch. Friedsames innres Leben ist doch das höchste, was der Mensch haben kan.

*


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